9. Besuch

Verfasst am: 7. August 2016 von Barbara Keine Kommentare

Besuch

Langsam kehrten die Lebensgeister wieder zurück, wie man so sagt. Und wie die flotten Sprüche der Mutter Courage samt ihrer Kritik und Streitlust
kamen auch die deutschen Wörter wieder, die für das Intelligenzrätsel aus dem ZEIT – Magazin nötig sind und die mir irgendwie völlig abhanden gekommen waren. Wo waren die so lange? Falls sie ausgewandert waren – um so besser und gerade gut für das Rätseln, denn da werden manchmal ausgestorbene wunderschöne alte deutsche Wörter gesucht wie Griesgram, Hagestolz, Eidam, Muhme, laben und ausbedingen.

Ich konnte nach 10 Tagen von der Intensivstation auf eine „normale“ Station verlegt werden, in ein Viererbettzimmer. Beim Abschied gab es Tränen, ach, da kannte ich ja noch nicht die tüchtigen Schwestern Ana, Gilda, Perpetua und Sabina. Sie vor allem haben mich beeindruckt durch ihre energische, zupackende und immer freundliche Art und ich habe sie fest in mein Herz geschlossen.

Fast jeden Tag besuchte mich mein Mann, der zeitweise ein Hotelzimmer bewohnte, weil er nicht immer in unser Dorf in Nordportugal fahren konnte. Er hat sich in dem oft stürmischen Aprilwetter eine Dreiviertelstunde lang den Weg zum Klinikum hoch gekämpft und sich für seine Frau buchstäblich „die Hacken abgelaufen“. (Er zeigte mir später die völlig durchgescheuerten Schuhsohlen und Absätze). Aber nicht nur der weite beschwerliche Weg bereitete Schwierigkeiten: Ein zeitlich ohnehin schon sehr begrenzter Krankenbesuch in einem portugiesischen Hospital ist gar nicht so einfach. Vor dem Eingang stehen wehrhafte Kontrollposten in Uniform. Man muss sich ausweisen und kann auch nicht als Familienclan in mehrfacher Ausführung auftreten. Mit seinem übergroßen roten Regenschirm erregte mein Mann fast so viel Argwohn, als trage er einen Baseballschläger bei sich. Besonders scharf wurde er kontrolliert an dem Tag, als im benachbarten Benfica-Stadion das Spiel Benfica Lisboa gegen den 1. FC Bayern ausgetragen wurde und die ganze Stadt vor Erwartung und Aufregung vibrierte. Für die Patienten sind solche Sicherheitsmaßnahmen allerdings sehr beruhigend.

Ich genoss aber auch den Besuch der anderen Patientinnen neben mir: Da kam eine schöne sanfte Frau, die ihr Töchterchen besuchte. Sie saß ganz still am Bett ihres kranken Kindes und erinnerte mich an Tiermütter, die sich in der Nähe ihrer spielenden Kinder niederlegen und sich auszuruhen scheinen, dabei aber alles scharf beobachten und aufmerksam verfolgen. Unsere Hauskatze zum Beispiel mit ihren 5 Kleinen oder eine Löwenmutter, die ich einmal in einem Film gesehen hatte, verhielten sich so.

Die Tochter meiner Bettnachbarin brachte ein Nagelpflegeset mit, um die Fingernägel ihrer Mutter zu behandeln. Manchmal kamen die Verwandten auch extra zu den Mahlzeiten, um ihren Angehörigen beim Essen zur Hand zu gehen. In Gesellschaft und mit ein paar Scherzen schmeckt es doch viel besser.

Ganz besonders gefreut habe ich mich über den Besuch der Pastorin der deutschen evangelischen Gemeinde. Ich kannte die junge Frau aus dem TV, wo sie das „Wort zum Sonntag“ gesprochen hatte. Gott hat doch tolles „Bodenpersonal“, dachte ich schon damals voll Bewunderung.

Einmal gab es ein Problem auf der Station: Es fehlte ein Platz für einen frisch eingelieferten Patienten. Sein Bett konnte nicht über Nacht auf dem Flur stehen. Deshalb fragten die Schwestern, ob sie diesen männlichen Gast in dem einzigen freien Platz auf der Station – in unserem Zimmer – hinter den Abtrennungsvorhängen unterbringen dürften. Am nächsten Tag sah ich diesen Patienten im Aufenthaltsraum wieder und sagte zu meinem Mann: „Schau mal, das ist der Herr, mit dem ich eine Nacht verbracht habe.“

Rückblende

Aus “Mails aus meinem Dorf”

Besuch im Krankenhaus

Verfasst am: 25. Oktober 2008 von Barbara

Krankenhausbesuch

Doch, ich war schön öfter im städtischen  Krankenhaus, das man hierzulande als “Haus der der Gesundheit” (casa da saúde)  bezeichnet oder Hospital, was vielleicht etwas mit Gasthaus oder Gästeherberge zu tun hat. Doch, ich war schon hier – gracas a Deus nicht als Patientin! – , aber als Besucherin damals, als die Nachbarin krank war, eine andere operiert wurde, ein Junge sich das Bein gebrochen hatte, der alte Carlos eine neue Hüfte bekam, wir sind an den Besuchstagen immer mitgegangen, das ganze Dorf war vertreten und stand um das Bett herum, immer abwechselnd schoben sich die Dorfbewohner lächelnd oder mit ernstem Gesicht an der Bettstatt vorbei. Und den Kranken tat das gut, sie fühlten sich geborgen und von ihrem Dorf geliebt. Noch heute sagt uns der eine oder andere: “Du hast mich damals besucht, als ich im Hospital war, ich weiß das noch gut, das war sehr nett von dir.”

Aber jetzt haben sich die Zeiten sehr geändert und solche Krankenbesuche haben sich ebenfalls verändert. Man trifft zwar bei einem Krankenhausbesuch noch das halbe Dorf an, aber man muss sich im Foyer versammeln und warten und Schlange stehen, auf den abgewetzten Plastiksesseln Platz nehmen und dort vorher schon mal die Informationen austauschen und sich zeitlich sehr begrenzen. Der labyrinthische Bau dieses alten heruntergekommenen Krankenhauses verfügt nämlich über eine ausgeklügeltes Kontrollsystem mit viel Personal und Eintrittskärtchen und zahlreichen Aufsichtspersonen.

Man strömt also zum Krankenhaus, darf das Auto aber nur in den Seitenstraßen oder auf dem Platz an der Uni parken, falls da noch ein Plätzchen zu finden ist, allerdings ist das Parken kostenlos. Dann kommt die erste Kontrollstation: eine enge Schleuse an dem Häuschen mit Wachtposten lässt nur jeweils eine Person passieren. Man geht über den Hof und durch die Glastür in die Wartehalle und wie im Flughafen an einigen Absperrungen vorbei zur Rezeption. Dort stauen sich die Massen bei zwei ziemlich genervten Damen, die mit der einen Hand in der Kartei blättern und mit der anderen das Telefon bedienen. Man zeigt seinen Personalausweis, der beurkundet, dass man mit der erkrankten Person auf der Station verwandt ist, andernfalls hat man keinen Zutritt. (Wir wurden als ausländische Freunde der Ehefrau gnädigerweise zugelassen.) Da aber nach dem derzeit herrschenden Gesetz nur jeweils zwei Personen ans Krankenbett treten dürfen, wurden wir erst einmal vergattert: Es sei schon eine Besucherin beim Bett (ich fand es nett, dass hier die kranken Menschen nicht mit Nummern oder mit Krankheiten bezeichnet werden  - “der Blinddarm” oder “die Galle auf Station IV” , sondern als cama=Bett), also das betreffende Bett bzw. von den  verfügbaren 2 Kärtchen  sei schon eines vergeben (ja, das wussten wir, die Dona Fernanda kümmerte sich um den lieben António), jetzt dürfe also nur noch 1 Person hin. Damit überreichte die Senhora der Ehefrau ein gelb-rotes Kärtchen in einer Plastikhülle mit der Aufschrift “Med II –cama 29″. Wir besprachen die Reihenfolge unserer Auftritte, brauchten aber eine Begleitung durch diese Gänge und Treppenhäuser und Verbindungsschächte, näherten uns der Kontrollstation und wurden tatsächlich angeschnauzt, weil wir doch nur ein einziges Kärtchen hatten. “Aber bitte, die Senhora muss mir doch den Weg zeigen”, bat ich so ausländisch wie möglich (kein Problem!!).
“Na gut, aber gefälligst rapido”, schnauzte der junge Kontrollposten.
So sausten wir also durch dieses Hospital, ich immer hinter meiner Ariadne her (ohne roten Faden, den hat sie schon längst verloren), die wie ein Wiesel mit schuldbewusster Miene an den Schreibtischen und Eingangstüren und drohenden Zerberussen vorbeihuschte, bis wir endlich bei Bett 29 ankamen.

Der Rückzug war genauso dramatisch.

Warum wohl diese Kontrollen nötig sind?
Vielleicht um der Infektionsgefahr vorzubeugen, denn wenn ganze Familienclans und Dorfgemeinschaften in die Krankenhäuser stürmen und ihre Bazillen, Bakterienstämme und Krankheitskeime mitbringen, ist das Risiko enorm. Man sagt ja, dass die meisten Menschen im Krankenhaus erst recht krank werden und durch irgendwelche zusätzlichen Infektionen sterben.
Bett 29 möge bitte davon verschont bleiben, für Bett 29 wandern wir nun alle zum S. Gregório, da braucht man kein Kärtchen.

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