29. Barock in Bahia

Verfasst am: 28. Oktober 2003 von Barbara Keine Kommentare

Wir kamen am 14. Juni nachmittags in Salvador an, feierten abends den Gottesdienst mit der Evangelisch-Lutherischen Gemeinde, wobei Hagen "in klassischem Portugiesisch" die Predigt halten durfte,  und anschließend mit großem Gelage, mit Feuer und Quadrille und Tanz die Johannisnacht.

In Salvador sollte man nachts – falls man überhaupt einschlafen kann – nicht schlafen. Die Luft ist so seidenweich, das Meer rauscht sanft, weil  die Wogen und der starke Wellengang durch die vorgelagerte Insel Itaparicu aufgehalten werden. Warm ist das Wasser, leicht die Wellen, Ebbe und Flut kaum spürbar. "Das soll unser Atlantico sein? Unser wilder gewaltiger Atlantico?"

Wir standen während der paar Nachtstunden, die noch übrig geblieben waren, auf dem Balkon. Es gab so viel zu sehen, zu riechen, zu denken. Ein Junge legte sich auf den Bürgersteig zum Schlafen, deckte sich eine Zeitung über den Körper und lag da ungestört bis zum Morgen. Dann sprang er auf und lief ins Meer, planschte dort herum und war wieder frisch und munter, um den Tag zu genießen.

Dann das Frühstück und die exotischen Hotelgäste, die sich alle sehr ungezwungen und lässig bewegten. Diese Fülle von Speisen zum Frühstück! Töpfe voller Kochbananen, voll dampfendem Maniokbrei, Bratwürstchen, Rührei, dazu Ananas, Papayas, Mangos, Äpfel, Bananen, Säfte, Brot, Wurst, Schinken, Käse… Mir gingen die Augen über.

Und später standen wir an der Bushaltestelle, um in die Oberstadt zur Kathedrale zu fahren, wo jeden Sonntag ein Konzert stattfindet. Das war einer der tollen Hinweise von Monika. An der Bushaltestelle – die Straße war am Sonntagmorgen noch ziemlich leer – wartete eine Dame und las konzentriert ein Buch. Wir fragten sie nach dem Weg und sie zeigte sich erfreut, dass wir deutsch sprachen. Sie las gerade Goethe, Die Wahlverwandtschaften. Deutsch habe sie am Goethe-Institut gelernt.

"Hättest du das je erwartet?"
"Nein, hast du in Deutschland schon einmal jemand an der Bushaltestelle, Goethe lesend, angetroffen? Also, sowas… "

Wir kamen zur Kathedrale und warteten bis 11 Uhr mit einigen Zuhörern auf den Einlass, bekamen einen Programmzettel und staunten erneut. Da gibt ein deutscher Kantor, Organist und Kapellmeister, der Pater Hans Bönisch, schon das 506. Orgelkonzert in der berühmten barocken Kirche Salvadors, hat einen Chor mit 60 jungen Leuten und ein Orchester "Barock in Bahia" gegründet, lädt Gastsolisten aus Deutschland und aus aller Welt ein, hat eine wunderbare Orgel für die Kirche "beschafft" (jeder Kirchenmusiker und Pfarrer kann diesen Begriff in seiner ganzen Tragweite verstehen) und spielt Sonntag für Sonntag.

"Hättest du das gedacht?"
"Nein, wirklich nicht!"
(Das kann man alles nachlesen im Internet unter www.barroconabahia.com.br – übrigens eine sehr schöne Homepage, dreisprachig, auf algarveblauem Grund wie meine eigene Seite www.luazul.com.)

Einige junge Männer setzten sich auf die rotgepolsterten Kniebänke, mit dem Rücken zum Altar, damit sie zur Orgel hinaufsehen konnten. Der Jüngling vor uns schloss die Augen und spielte auf der Kirchenbank als einem imaginärem Tastinstrument die Stücke mit, seine Finger huschten über die Bank, sein Gesicht verklärte sich.

Wir hörten Buxtehude, Bach, Händel. Wir hörten mit Verwundern sogar zwei Stücke aus Wagner-Opern, wir hörten den Triumphmarsch aus Verdis "Aida" und zum Schluss, um der großen Begeisterung die Krone aufzusetzen: "Pomp and Circumstances" von Edwar Elgar. Applaus. Applaus. Alles drängte hinaus.

"Ist es hier auch üblich, den begnadeten Mestre de Capela zu küssen?"
"Nur zu!" sagte der begnadete Mestre de Capela.

Unten auf dem Programmzettel stand:
Nach dem Konzert (12:15 h bis 14:30 h) gibt es im BERLIN-CAFÈ im Kulturzentrum von "Barock in Bahia" ein Mittagessen.  Heute wird angeboten:
"Gulasch", Würstchen oder Schweinekotelett mit Sauerkraut und deutschen Kartoffeln.

"Hättest du das gedacht? "
"Nein, sowas. Was sagst du dazu?"
Wir sagten gar nichts mehr.
Monika holte uns ab, und wir stürzten uns kopfüber ins nächste Abenteuer, das uns die Sprache verschlug.

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