20. Freundschaftsband

Verfasst am: 23. September 2003 von Barbara 1 Kommentar

Was ich denn da für ein Freundschaftsbändchen am linken Handgelenk habe, wollte mein Zahnarzt wissen. Er stellt immer solche anregenden und interessierten Fragen, ch glaube, um seine Patienten abzulenken, und hält dann seinerseits Monologe, auf die man sowieso nicht reagieren kann, weil man gerade den Mund voller Wattebäuschchen und Geräte – Hammer und Meißel – hat. "Und den Mund schön aufmachen, ja, so ist es gut, und schön offen lassen."

Wie kann ich da von meinem Freundschaftsbändchen erzählen?
Will er\’s überhaupt wissen?

Mein Freundschaftsbändchen…
Zugegeben, dieses Bändchen sieht schon etwas merkwürdig aus.
Ganz schmuddelig, hässlich und zusammengerollt, aber immer noch auffallend neonhellgrün.
Ich werde es tragen, bis es abfällt. Das ist so vorgeschrieben, man muss es tragen, bis es sich auflöst.
Dann nämlich gehen meine 3 Wünsche in Erfüllung. Es sind eigentlich nur 2 ½ Wünsche, denn der dritte halbe Wunsch ist schon von ganz von allein in dem Bändchen enthalten, es ist der Wunsch der Baianer, dass man eines Tages wieder nach Salvador kommt. Der steckt in jedem dieser bunten Bändchen, mit denen die jungen Leute lachend und winkend durch die Stadt laufen: "Hello, do you speak English? Parlez-vous francais? Sprechen Sie deutsch? Hier, schenke ich dir! Kostet nix, ist Freundschaft, ist Gruß von Salvador, vom Senhor do Bonfim!"

Wir lachen auch und schwenken unsere Bändchen: "Olha! Wir haben schon so viele Fitas! Dankeschön!"

Mein Bändchen band mir traditionsgemäß unsere einmalige und tolle Reiseführerin Gretel Rapp um das Handgelenk, als wir die Kirche vom Senhor do Bonfim besuchten. Dort erklärte sie uns auch den Ritus und den Brauch.

Die Kirche, in der das berühmte Kruzifix aufgerichtet ist, das einst ein reicher Mann an Bord seines Schiffes hatte und dem es zu verdanken ist, dass die Reise trotz schwerer Stürme doch noch ein gutes Ende (eben das "bon fim") fand, diese Kirche wurde danach aus Dankbarkeit erbaut und ist ein Wallfahrtsort geworden. Hier werden Wünsche vorgetragen und Bitten erfüllt und Dankgebete gesprochen und Geschenke hingelegt. Berühmt ist die Sakristei mit ihren vielen, vielen Votivgaben.

(Hier kann man übrigens auch sein Brautkleid abgeben, damit irgend eine hübsche Braut, die vielleicht nicht so begütert ist, sich ihren Traum von einer Hochzeit in Weiß erfüllen kann. Manche dieser jungen afro-brasilianischen Schönheiten beten innig dafür, dass eines Tages ein Kleid für sie abgegeben wird. Ich finde diese Brautkleid-Börse beim lieben Gott wunderschön und außerordentlich passend, weil doch das Schiffchen der Liebe mit dem Brautpaar auch nach vielen Stürmen nun gewissermaßen in den "Hafen der Ehe" einläuft und  sozusagen ebenfalls  zu einem "Guten Ende" gelangt. Dass die tollsten Stürme noch kommen, erfährt man dann später noch früh genug. Wohl dem Ehepaar, das dann den Sehor bei sich hat.)

Gretel Rapp erklärte uns sehr engagiert, was es in dieser Kirche zu sehen und zu entdecken gibt und wie sich die afrikanischen Religionen eng und glücklich, wenn auch nicht ganz offiziell genehmigt,  mit dem Katholizismus verbunden haben.  Und so begriff ich plötzlich vieles, was mir vorher so unverständlich und fremd erschienen war…, die Literatur von Jorge Amado…, das geheimnisvolle Treiben am Strand in Portugal…, die seltsamen Götter, die Candomblés, die Riten und Bräuche und Kleider, die Symbolik der Farben, die Bedeutung vieler Dinge. Und das war , als habe jemand eine Tür zu einem wundervollen Saal voller Herrlichkeiten geöffnet, das Tor zu einem Park, zu einem Schloss aufgemacht. Aber je mehr ich las und entdeckte, desto geheimnisvoller wurde diese Welt.

Seitdem bin ich verhext und verzaubert von Bahia.

Ja, also, mein Freundschaftsbändchen in einer Farbe, die der Göttin Yemanja eigen ist,  dieses Bändchen mit den 3 Wünschen, von denen der letzte halbe bedeutet, dass ich wieder nach Salvador komme, dieses Bändchen trage ich immer noch – voller Erwartung, es übersteht alle Aufwischaktionen mit Lixivia, alle Seifen-, Dusch- und Sonnenbäder. Wird es mich eines Tages nach Brasilien zurück begleiten? Werden meine Wünsche wohl in Erfüllung gehen?

Aber ich kann doch nun wirklich nicht die ganze Geschichte erzählen, wenn mich der Zahnarzt  - "Und schön aufmachen, – ja, gut so, und den Mund offen lassen!" – bei einer Sitzung fragt, was ich denn da für ein Freundschaftsbändchen habe.

Hach ja. Seufz.

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