19. Portugal und seine Kolonien

Verfasst am: 25. August 2003 von Barbara Keine Kommentare

Der Satz "Brasilien ist groß" klingt läppisch, ich weiß.
Aber ich schrieb ihn in seiner elementaren Wucht nieder, weil ich als Festland-Portugiese so beeindruckt war von dem Ausmaß dieses eroberten Landes. Noch kurz vorher hatte ich im Scherz gesagt, wir als richtige Seefahrer und fast echte, jedenfalls vom Herzen her ganz bewusste deutsche Portugiesen müssten unbedingt vom Mutterland aus alle portugiesischen Kolonien besuchen. Madeira hatten wir schon mal an den  Anfang gesetzt. Da waren wir im Oktober 2002 und stellten fest, dass der Stolz der Madeirenser dem der Portugiesen vom Festland durchaus standhält. Von wegen kleine Kolonie und Mutterland! Die Insel ist längst emanzipiert und abgenabelt von der Mutter. Und wer von "Besuch der Kolonien" redet, erntet mitleidige oder abschmetternde Blicke.

In Brasilien haben wir es gar nicht mehr gewagt, diese Formulierung zu benutzen, denn das Verhältnis des kleinen Mutterlandes zu diesem riesigen Kolonialreich ist einfach unbeschreiblich. Eben – wie gesagt – - – "Brasilien ist groß".

Stolz blitzten die Augen der jungen Männer in der Deutsch-Klasse des Goethe-Instituts in Salvador, als ich vom Mutterland Portugal erzählen wollte, und ich merkte schnell, dass einzig wohl die längere Geschichte und die europäische  Verwandtschaft Portugals, seiner Universitäten und seiner Eroberungskriege faszinierend für junge Brasilianer sind, aber nicht seine Größe oder Macht. Die finden alle unbedeutend und lächerlich.

"Erzählen Sie uns nicht von Portugal, sondern von Deutschland, vom Großdeutschen Reich, von Pommern und den verlorenen Ostgebieten, von der Oder-Neiße-Linie, von der Mauer und der Wiedervereinigung", sagten sie und hörten mir 2 Stunden wie gebannt zu.  Gustav, Otto, Oswald – so heißen diese schönen Jünglinge, die in Zukunft mit meiner Lektüre in der Hand beweisen werden, dass nicht "der Portugiese der beste Liebhaber" ist, sondern auf jeden Fall ein Brasilianer dieses Monopol innehat.

Und völlig indiskutabel war unsere portugiesische Herkunft für einige deutschstämmige Leute, die wir in Brasilien trafen und die uns nach unserer Herkunft fragten.

"Und woher kommen Sie?" wendete sich eine Dame nach dem allgemeinen Gespräch der Nachmittags-Kaffee-Gesellschaft über die Unzulänglichkeit der brasilianischen Hausangestellten und zudem noch ziemlich herablassend an den neben ihr sitzenden Hagen.

Der sagte der Einfachheit halber und der Wahrheit entsprechend: "Aus Portugal" und  nicht "Aus Deutschland" oder "Aus Güstrow" oder "Aus Konstanz, geboren in Stuttgart".

"Aus Portugal!" Naserümpfen. Verachtung. Missbilligung.
Wer kommt denn aus diesem Dritte-Welt-Land, wo nur eingebildete Großangeber mit Kolonialherren-Allüren oder – weit schlimmer, wie jedermann bekannt ist – arme Gastarbeiter und Emigranten herstammen?
Wir konnten also überhaupt keinen Eindruck machen oder nur den schlechtesten, wenn wir in Brasilien sagten, dass wir aus Portugal kommen. Diese unsere Auskunft und Herkunft "Wir kommen aus Portugal" war in Brasilien total "daneben", und fortan redete mit uns an diesem Nachmittag auch keiner mehr.

Dabei finde ich das so großartig, dass man heute als Europäer in Portugal zu Hause sein kann und am portugiesischen Geschichtsdenken und Kolonialbewusstsein partizipieren kann. "Ich komme aus Portugal", das heißt doch "Ich komme auf den Spuren Cabrals und Vasco da Gamas in euer Land, in dem man portugiesisch spricht und eine gemeinsame Vergangenheit hat und einen geradezu legendären Familiensinn und eine gemeinsam zu verteidigende Familienehre."
Ich war bislang sehr stolz auf diese Tatsache, dass wir aus Portugal kommen. Soll ich das denn nun totschweigen, bloß weil es in Brasilien nichts gilt?

Nein, es bleibt dabei: Ich komme aus Portugal.
Wo es doch so sehr meinem Pommerland gleicht und neuerdings sogar auch fast "abgebrannt" ist.

Keine Antworten

  1. Jorge Amado schreibt:

    Jorge Amado über die Gringos
    in "Das Verschwinden der heiligen Barbara" S. 164 :

    "Wußte sie denn nicht, wie das mit diesen Gringos lief? Sie kommen nach Brasilien, begeistern sich, steigen in Bahia aus, bewundern, beschließen, alles mögliche zu tun, künden Musiktheater, Fernsehprogramme, Kinofilme, Unglaubliches an, sie lügen nicht: Die Begeisterung ist echt, die Absicht tatsächlich vorhanden. Nur, kaum daß sie den Fuß in das Flugzeug zurück nach Paris oder New York gesetzt haben, sind sie schon woanders, und niemals mehr hört man von ihnen. .."

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