Das Erste Jahresseelenamt

Verfasst am: 4. Juli 2018 von Barbara Keine Kommentare

Das Erste Jahresseelenamt
Missa do um anno

Im vorigen Jahr hatte unser Freund Arlindo einen tödlichen Autounfall. Wir waren am Tag zuvor munter beisammen und hatten uns verabschiedet, weil wir nach Frankreich fahren wollten. Seine liebe Rosa hatte uns 50 Hühnereier mitgegeben, fein säuberlich in einem Eimer voller Hühnerfutter, nämlich goldene Maiskörner, gebettet, frische portugiesische Eier, die wir großzügig verteilten.
Und während wir auf sonnigen Straßen gen Norden fuhren, muss daheim an der Atlantikküste das schreckliche Unglück passiert sein. Ein LKW hatte Arlindos Auto an der Wand zerquetscht. Wir erfuhren davon erst Wochen später nach unserer Heimkehr. Und wir waren sehr betroffen und sehr, sehr traurig über den Verlust diesen fröhlichen optimistischen lebensfrohen Freundes.

Jetzt nach einem Jahr sollte die erste Seelenmesse stattfinden, an der wir unbedingt teilnehmen wollten. Seine Frau hatte das Fest mit dem ortsansässigen Padre lange vorbereitet, Hunderte von Einladungen geschrieben und uns auch immer wieder an den Termin erinnert. Wir besorgten ein Blumenbukett und fuhren zur Kirche, wo die Trauerfeier stattfinden sollte.
Auf dem Platz vor der Kirche standen unzählige Autos, die Besucher strömten. Waren das alles Arlindos Freunde? Im Foyer verteilte eine Bekannte handgeschriebene Erinnerungskarten. Später erzählte Rosa, es seien hundertvierzig Karten gewesen. Wir fanden in der vollbesetzten Kirche mit Müh und Not einen Platz und konnten es einfach nicht fassen, dass an diesen Samstagnachmittag so viele Besucher zu Arlindo gekommen waren. In der Menge entdeckten wir Arlindos Frau Rosa, ganz in Schwarz gekleidet.

Der Gottesdienst begann mit großartigem Gesang und mit Lesungen. Als wir merkten, dass hier ein ganz normaler Gottesdienst stattfinden würde, legten wir unser Blumenbukett als etwas unpassend verschämt zur Seite.
Nach der Liturgie folgte die Ansprache über den vorgeschriebenen Text, dann die Eucharistiefeier. Wir warteten auf die Nennung der Namen der Verstorbenen, – doch es blieb uns verborgen. Jedenfalls hörten wir nicht die Namen unseres Freundes. Nach einer Stunde beschlossen wir, da niemand anders Anstalten machte zu gehen, mit unseren Blumen zum Grab auf dem Friedhof zu wandern, aber es ergab sich keine Pause, so dass man aufstehen und die Kirche hätte verlassen können. Ohne Überleitung baute sich ein bekannter großer Chor auf und begann zu singen.

Wir begriffen: Jetzt wurde die Passionsgeschichte mit bekannten Chorälen und Rezitativen dargeboten. Hinter dem Chor erschienen auf einer Leinwand Darstellungen aus der christlichen Kunst von Jesu Passion. Wenn nicht die Kinder in der ersten Chorreihe so erfrischend falsch ihr Halleluja beim „Einzug in Jerusalem“ gejubelt hätten, wobei sie mit künstlichen Palmzweigen etwas unrhythmisch wedelten, wäre diese gewaltige Musik überhaupt nicht an unser Herz gedrungen. Aus lauter Ehrfurcht und Andacht wagten wir in der langen Zeit – die Matthäuspassion von Bach dauert immerhin 3-4 Stunden! – natürlich nicht, aufzustehen und die Kirche zu verlassen. Endlich bei den Schlussgesängen fanden wir den Mut, unsere Blumen auf den Friedhof zu tragen.
Aber wo war denn überhaupt Arlindos Grabstätte?
Wir folgten einigen Leuten, die imposante Gestecke aus orangefarbenen Gladiolen und vergoldeten Tannenzweigen transportierten. Sie blieben alle vor einem Grab stehen und deponierten dort die prächtigen Blumen. Das war also Arlindos Grabstelle. Wir verharrten wie sie einige Zeit in stillem Gebet und wankten dann erschöpft nach Hause.

Nun leben wir schon so lange in Portugal, aber wir erfahren immer wieder, dass hier manches ganz ganz anders ist, als wir es kennen und erwarten.

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