In 14 Tagen ist Ostern.
Ostern?
In unserem Dorf hat sich so viel verändert, nicht nur äußerlich am Landschaftsbild, sondern vor allem auch in der Infrastruktur, in der Denk- und Lebensweise der Menschen, in der Beziehung der Portugiesen zum kirchlichen Leben. Ich weiß nicht, ob das Osterfest hier überhaupt noch seinen Platz findet: Es war früher bedeutender als das Volksfest im August zu Ehren des Patronats der Senhora da Saúde mitsamt dem Heiligen Antonio. Was wurde da zu Ostern geputzt und geschmückt, gekocht und gebacken und – nach 7 Wochen Fasten – geschmaust und geschlemmt!
Heute haben alle älteren Dorfbewohner Magen- und andere Diätprobleme, das Fasten sowieso nicht ernst genommen und ihren religiösen Gehorsam irgendwann verloren. Es gibt in der Dorfkirche ja auch nur noch sporadisch einen Sonntagsgottesdienst. Da verliert man das Zeitgefühl: Was? Schon wieder ein Monat rum? War doch eben erst…ach nein, Ostern? Meine Nachbarin klagt: „Naja, ich mache diesmal die Türe für das Kreuz und den Ostersegen sowieso nicht auf. Der Padre kommt seit Jahren nicht mehr mit. Ich bin außerdem so krank. Ich kann keinen einladen und durchfüttern.“
Wir denken: Schade, schade. Wir erinnern uns so gerne an die Familie, die andächtig im Ostersaal herumstand, den Kruzifixus küsste und danach wie erlöst über die Köstlichkeiten herfiel, die auf dem großen festlichen Tisch bereit standen. Und wie wir gesungen haben: Aleluia, aleluia!
Also, in diesem Frühjahr werden die Haustüren nicht mehr geöffnet. Die Dorfgemeinschaft ist zerstört und die Landschaft um das Dorf herum bietet einen erschreckenden Anblick: Es gibt keinen Wald mehr!
Es wurde angeordnet, dass alle Bäume, die beim Brand gelitten haben, radikal gefällt werden müssen. Seit Wochen wird gesägt und abtransportiert. Die Besitzer werden mit Geldbußen bestraft, wenn sie ihre Grundstücke nicht bereinigen, oder aber der Staat konfisziert ihre Wälder. Bis April darf kein schwarzer angekohlter Baumstamm mehr zu sehen sein.
Vorgestern wurde ein 82 Jahre alter Bauer, der selbst durchgreifen musste, von dem Baumstamm, den er absägte, erschlagen und getötet. Alle sagen: Er hätte doch Hilfe holen müssen! Aber woher denn? – hier sind alle Männer (und Frauen) im Einsatz. Und nun gibt es rings um das Dorf keinen Wald mehr.
Und dennoch ist Ostern und Jesus ist dennoch auferstanden.
Und er hat dennoch gesiegt.
Wir werden sehen: In 14 Tagen.
In 14 Tagen ist Ostern.
Dazu ist mir folgendes Kirchenlied eingefallen:
Und das wünsche ich uns – dass wir Osterspuren finden.
W 551 Wo einer dem andern neu vertraut
1. Wo einer dem andern neu vertraut
und mit ihm eine Brücke baut,
um Hass und Feindschaft zu überwinden,
da kannst du Osterspuren finden.
2. Wo einer am Ende nicht verzagt
und einen neuen Anfang wagt,
um Leid und Trauer zu überwinden,
da kannst du Osterspuren finden.
Wo einer im Dunkeln nicht verstummt,
sondern das Lied der Hoffnung summt,
um Totenstille zu überwinden,
da kannst du Osterspuren finden.
3. Wo einer das Unrecht beim Namen nennt
und sich zu seiner Schuld bekennt,
um das Vergessen zu überwinden,
da kannst du Osterspuren finden.
4. Wo einer das Unbequeme wagt
und offen seine Meinung sagt,
um Schein und Lüge zu überwinden,
da kannst du Osterspuren finden.
Wo einer im Dunkeln nicht verstummt,
sondern das Lied der Hoffnung summt,
um Totenstille zu überwinden,
da kannst du Osterspuren finden.
5. Wo einer gegen die Strömung schwimmt
und fremde Lasten auf sich nimmt,
um Not und Leiden zu überwinden,
da kannst du Osterspuren finden.
6. Wo einer dich aus der Trägheit weckt
und einen Weg mit dir entdeckt,
um hohe Mauern zu überwinden,
da kannst du Osterspuren finden.
Wo einer im Dunkeln nicht verstummt,
sondern das Lied der Hoffnung summt,
um Totenstille zu überwinden,
da kannst du Osterspuren finden.
Text: Reinhard Bäcker 1986
Melodie: Detlev Jöcker 1986
Zitiert nach dem Evangelischen Gesangbuch Württemberg