Die Seniorenreise
I. Von Portugal über Zürich an den Bodensee
„Also, Mama, ich beneide dich“, sagte unser jüngster Sohn, als er von unseren Reiseplänen hörte. „Natürlich fährst du mit dem Rollstuhl. Ich habe mir immer gewünscht, einmal wie ein Star mit dem Rollstuhl übers Rollfeld gerollt zu werden. Man wird als Erster in den Flieger gesetzt, man braucht sich um nichts zu kümmern, man wird behandelt wie ein rohes Ei. Ach, das find’ ich toll!“
Nein, ich dagegen fand das gar nicht toll. Ich schämte mich ein bisschen bei der Vorstellung, als ein behinderter alter Mensch befördert zu werden. Aber es ging ja leider gar nicht anders, denn nach der Bandscheibenoperation konnte ich mich wirklich nicht mehr bewegen wie vorher, schon gar nicht eilig laufen, lange stehen oder mit Gepäck endlose Gänge entlang hetzen. Alleine diese Umsteigemanöver!!
Sie wissen ja, dass manche Flughäfen wirklich labyrinthische Kilometerstrecken haben. Der brasilianische Autor Ribeiro erzählt, wie er mit seiner Familie bei seinem ersten Deutschlandbesuch in Frankfurt von einem Terminal zu einem weit entlegenen anderen Terminal musste. Sein kleiner Sohn, der hinter ihm her keuchte, fragte ganz am Ende seiner Kräfte: „Papa, ist Fanfu größer als Brasilien?“
„Com certeza“, ächzte der Papa.
O nein, diese Laufleistung würde ich niemals bringen können. Aber ich wollte unbedingt zum lang geplanten Familientreffen fliegen. Deshalb willigte ich ein, als meine Tochter den angepriesenen Mobilitätsservice auf den Flughäfen für mich in Anspruch nehmen wollte und eine Umstiegshilfe anforderte. Der Mobilitätsservice meinte, es sei am besten, einen Rollstuhl zur Verfügung zu stellen.
Als ich aus dem Taxi stieg, das uns zum Flughafen gebracht hatte, wartete am Schalter ein junger Mann mit neongelber Weste „MY WAY“ und einem Rollstuhl auf mich. Von nun an verlief alles ganz wunderbar einfach: Ich wurde sofort am Schalter höflichst und vorzüglich bedient, dann auf kürzestem Wege zur Zollkontrolle gefahren, wo der junge Helfer wie ein Vormund unsere Pässe vorlegte, unsere Karten vorzeigte und uns regelrecht bemutterte. Danach schob er mich im Rollstuhl auf Wegen, die dem Personal vorbehalten sind, und mit besonderen Liften in den Wartebereich der Abflughalle. Hier durfte ich warten, bis er alle Formalitäten erledigt hatte, dann schleuste er mich an den Menschenmassen und Warteschlangen vorbei, fuhr als erstes durch die Kontrolle und schon waren wir auf dem Rollfeld vor dem Flieger (Ach, wenn unser Sohn mich da gesehen hätte!). Mein Mann und ich wurden von den Stewardessen wie VIPs begrüßt, wir durften nebeneinander sitzen und genossen die Fürsorge. Es ist schön, ohne Schubsen und Drängeln auf reservierten Plätzen zu reisen.
Leider landete dieses Flugzeug in Lissabon etwas verspätet, so dass wir bei unserer Ankunft fürchteten, den Anschlussflug zu verpassen. Aber nein, da wartete wieder ein neongelber „MY WAY“-Helfer, der mit mir an allen Hindernissen vorbei rasend um die Ecken und über das Rollfeld sauste, so dass mein Mann kaum Schritt halten konnte. Mit dem Rollstuhl kam ich bis zur Kabinentür und von dort wurden wir zu unserem sicheren Platz geleitet. Nach vier Stunden Flug durften wir in Zürich als letzte das Flugzeug verlassen und wurden von einer kleinen energischen Flughafenbeamtin in Uniform empfangen. Sie brachte uns zu einem Elektromobil, legte mir den Sicherheitsgurt an und brauste davon. Mein armer Mann hatte zu tun, mit dem Handgepäck hinterher zu kommen. Aber er hatte immerhin einen Wegweiser: Er brauchte uns nur in diesem Labyrinth zu folgen. Diese liebenswürdige Helferin plauderte ein wenig mit uns und wir fragten, ob sie Schweizerin sei? „Nein, ich bin Perserin, aber ohne Teppich“, sagte sie. Sie betreute uns sehr liebevoll bei der Gepäckausgabe und bei der Ausgangskontrolle. Wir trennten uns wie richtige Freunde.
Draußen an der Absperrung warteten Andi und Hella auf uns. So komfortabel war ich noch nie gereist.
II. Vom Bodensee über Berlin nach Meck-Pomm
Die zweite Etappe der Seniorenreise ging vom Bodensee zur Ostsee, also quer durch Deutschland. Diese Strecke kennen wir von stundenlangen Autofahrten. Aber heute würden uns Staus und Stress erspart bleiben, denn wir konnten nach einer kurzen Anfahrt in Offenburg in einen wunderbaren ICE steigen, der von Basel bis Berlin braust. Hier war für uns Senioren ein Abteil 1. Klasse reserviert. Bequem und „rundum sorglos“ glitten wir im ICE durch die schönsten Landschaften Deutschlands. Hin und wieder tauchte ein freundlicher Bote aus der Bordküche auf und fragte nach, ob wir an den kulinarischen Köstlichkeiten interessiert seien. Dreimal wurden wir von einer reizenden Angestellten in Bahnuniform zu Schokolade oder Gummibärchen verführt. Und ehe wir es uns versahen, waren wir auf dem modernen Hauptbahnhof in Berlin angelangt.
Hier wartete eine junge Frau vom Mobilitätsservice mit einem feschen roten Hütchen (ihre Berufskleidung), auf uns, um mich im Rollstuhl von einer Ebene zur anderen und von einem Gleis zum nächsten zu bringen. Auch hier wurden wir vorzüglich behandelt und mit dem Lift befördert. Diese Dame vom „Mobilitätsservice des Hauptbahnhofs Berlin“ erzählte frisch und munter von ihrer Tätigkeit, vom Spreewald, ihrer Heimat, und brachte uns in das schön geheizte Reisezentrum, wo wir gerne auf den Anschlusszug nach Mecklenburg warteten.
Kurz vorher hatte es auf dem Bahnhof etwas Aufregung gegeben, weil ein Herr seinen Koffer abgestellt hatte, um sich einen Kaffee zu holen. Als dieser Reisende lange nicht zurückkehrte und der Koffer unbeaufsichtigt in der Gegend stand, vermutete man „BOMBE !!“ – und war drauf und dran, den Bahnhof zu evakuieren.
Zum Glück kam der Kaffeetrinker gerade noch rechtzeitig Wieder und die Welt drehte sich weiter.
Mit der netten Frau Neumann vom Mobilitätsservice haben wir uns wie Freunde unterhalten und genauso freundschaftlich getrennt.
Seltsam, dass man als Senior so viele liebevolle und hilfsbereite Menschen kennenlernt. Man ist im Rollstuhl noch lange nicht „abgeschoben“.
Die letzten zwei Stunden Fahrt im Regionalzug waren durch die Vorfreude auf unsere „Traumenkel“ Leo, Ben und Pepe bestimmt. Am Zielort, wo ein Taxi auf uns wartete, war der Wind so schneidend und kalt, dass es uns den Atem verschlug.
Ob Sie es glauben oder nicht: Es ist durchaus wunderbar, als alter Mensch mit Behinderungen die Welt zu bereisen und den Luxus des Mobilitätsservices zu genießen. „Da sagst du uns nichts Neues“, meinte eine Bekannte am Telefon, „Onkel Hans reist schon seit Jahren so, er wohnt in einem Seniorenstift und hat mit Hilfe von Rollstuhl und Mobilitätsservice schon die halbe Welt bereist und gesehen.“
III. Zurück nach Portugal
Nach vierzehn Tagen, nach der Operation, dem Auskurieren der fürchterlich heftigen Bronchitis und nach ein wenig Erholung traten wir die Heimreise an. Es war Januar, aber noch waren alle Straßen trocken und ohne Schnee und Glatteisgefahr. Gemütlich fuhren wir im Privatauto zum Flughafen nach Berlin. Auch das ohne Hindernisse und Schwierigkeiten.
Auch in Berlin-Tegel nahmen wir den Mobilitätsservice vom Flughafen in Anspruch. Die freundliche Dame brachte mich im Rollstuhl an der langen Schlange der Wartenden vorbei zum Checkin. Dort wurde ich bevorzugt und problemlos durch die Pass- und Zollkontrolle geschleust. Nach meinen guten Erfahrungen mit der Perserin Nasrin in Zürich, mit der Spreewälderin Ines Neumann schloss ich sofort wieder Freundschaft mit dieser Berliner Helferin, die mir verriet, dass sie aus Bulgarien stammte. Wir entdeckten so viele Gemeinsamkeiten, dass wir uns beim Abschied in den Armen lagen. „Auf Wiedersehen!“ Der Rollstuhl wurde zum Abflug an allen Fluggästen vorbei zum Flugzeug geschoben. Dann durfte ich Platz nehmen, von der Equipe wie ein VIP freundlich begrüßt.
Der Flug war weniger angenehm, weil es viele Turbulenzen gab, doch schließlich landeten wir aus dem winterkalten Deutschland im frühlingshaften Lissabon. (Und ich konnte zufrieden auf zwei vollendete „UM-DIE-ECKE-GEDACHT“- Rätsel blicken.)
Das Anschlussflugzeug nach Porto wartete leider am anderen Ende des Flughafengeländes von Lissabon. Wenn wir die Strecke hätten laufen müssen! Diesmal durfte sogar mein Mann im Elektromobil mitfahren. Der Lissabonner Flughafen erscheint mir sehr unübersichtlich und ausgedehnt zu sein und nur mit dem roten Faden der Ariadne durchmessen werden zu können.
Auch die langen Wege bei der Gepäckausgabe und Kontrolle in Porto wurden uns leicht gemacht: Wir beide wurden von zwei Helfern in einen Rollstuhl verfrachtet und entgingen so allen Treppen und Kilometermärschen.
Den größten Schreck bekam Fernando, unser Taxifahrer. Er wartete lange Zeit geduldig auf uns. Er wartete allerdings auf zwei Reisende mit Koffern und Taschen, die wie alle anderen durch die Türe schreiten würden, und er konnte es nicht fassen, dass wir beide nun in einem Rollstuhl ankamen – aber – Graças a Deus! – ohne Gipsbein.
Wir haben ihn beruhigt, und außerdem lag nun in Portugal, wo die Abendsonne auf die blühenden Mimosenwälder schien, die Welt im rosigsten Licht.