Gott kommt ! Hä?
Nachmittagsgespräch im Pflegeheim. Zwanzig bis dreißig ältere Menschen waren von den Pflegern in den Raum gebracht worden, einige waren selbst im Rollstuhl herbei gekommen oder mit ihrem Rollator vorgefahren. Sie saßen still und andächtig an den Tischen. Der Raum war überheizt und eine schläfrige Mittagsruhe machte sich breit.
Zu Beginn hatten alle gesungen: „Alle Jahre wieder kommt das Christuskind“, und jemand hatte sich danach gewünscht: „Morgen kommt der Weihnachtsmann.“ Jetzt besprach die Betreuerin das Programm der nächsten Adventstage.
Sie erzählte mit unverhohlener Begeisterung, was in dieser freudenreichen Zeit alles geschehen wird: „Ja, zuerst kommt nun der Nikolaustag, und natürlich wird der Nikolaus zu uns kommen und hat bestimmt auch Geschenke für uns dabei. Der Kinderchor – erinnert ihr euch an die Kleinen? – hat sich angemeldet. Und der Posaunenchor kommt in diesen Tagen und wird schöne bekannte Weihnachtslieder spielen. Der Parteiabgeordnete wird mit uns Kaffee trinken. Und die Damen und Herren vom Roten Kreuz kommen, die Besuchsgruppe der Ortsgemeinde wird wie alle Jahre wieder zu uns kommen und viel Freude bereiten!“
Die müden Zuhörer nickten freundlich oder waren durch die lange Rede bereits eingenickt.
Dann ergriff die Pastorin das Wort, sie sprach energisch und deutlich: „Ja, nun wissen Sie genau: Sie haben eine schöne erfüllte Zeit vor sich! Doch jetzt werde ich Ihnen den wichtigsten Besuch ankündigen. Wir singen zusammen unser neues Advent-Lied:
„Seht, die gute Zeit ist nah, Gott kommt auf die Erde!“. Die Pastorin betonte laut noch einmal den Liedanfang und begann mit klarer Stimme zu singen.
Da schreckte Herr Bärenheuter auf: „Hä? Was hatse gesagt? Wer kommt?“
Frau Eberhard stuckte ihn in die Seite und sagte etwas empört: „Gott kommt!“
Herr Bärenheuter fragte noch einmal verwirrt: „ Was? Wer? Gott?“
Da drehten sich die Damen in der vorderen Reihe um und sagten vorwurfsvoll: „Mensch, Gott kommt!“
So klar und deutlich hatte die Pastorin noch nie die Weihnachtsbotschaft „rübergebracht“. Alle hatten es gehört und selbst gesagt: „Gott kommt!“
Die Pastorin lächelte und erinnerte sich, wie Niemöller vor den Denunzianten des 3. Reichs damals gepredigt haben soll: „Herren kommen und gehen. Unser Herr kommt!“
So eindringlich musste das auch geklungen haben: Mensch, Gott kommt!