Penelope und ihre Rentner
Wie sie da so steht: Eine stolze Portugiesin, sehr gepflegt, gut frisiert, kurzer Rock, schöne Beine, Schuhe mit hohen Absätzen –
Wie sie da so steht: ganz in Schwarz gekleidet, mit verschränkten Armen, an den Eingang gelehnt -
Wie sie da so steht: Penelope, die Besitzerin des Dorfladens. Ein Laden, in dem es alles gibt. Es gibt das täglich Brot, frisches Gemüse aus den Gewächshäusern nebenan, Schnürsenkel für Rudolfo, ein Schnäpschen für das Tässchen Kaffee, die Tageszeitung, Eis und Bonbons für die Kinder, Läusepulver, Salz und Mehl, Filzpantoffeln, Schneckengift, Wachstuchtischdecken, Nägel, die man kiloweise kauft…Ein Dutzend Eier? Warten Sie, ich hole sie aus meinem Hühnerstall. Und wie es da riecht: Nach Kaffee, Wurst und Knoblauch und Seife und vor allem nach Bacalhau. Der Bacalhau-Geruch überlagert alles im Supermercado der Senhora Penelope.
Sie steht stolz und mit verschränkten Armen vor der Ladentür. Auf der Bank vor dem Schaufenster sitzen mehrere alte Männer. Sie schützen sich unter dem roten Sonnenschirm vor der starken Sonne. Einige haben sich in ihrem motorisierten Rollstuhl dazugesellt. Sie sitzen zusammen und reden miteinander und lachen. Was reden sie? Wollen sie der Frau imponieren und erzählen deshalb tolle Geschichten von ihren jugendlichen Heldentaten? Es sind die Freunde und Companheiros des verstorbenen Ehemannes und sie sind gewohnt, sich hier zu treffen, lauter alte Männer mit viel Zeit.
Sie trafen sich immer hier. Als Jugendliche fuhren sie hier mit den Rädern hin, tranken etwas, führten waghalsige Kunststücke auf dem Rad vor und hielten tolle Reden. Später kamen sie mit ihren Autos an, Autos, die repräsentativ sein mussten und „was hermachten“. Nach Feierabend fuhren sie nicht gleich nach Hause, sondern trafen sich hier vor dem Laden für einen Trunk oder zwei. Nun sind sie mobilisierte Rentner, die sich hier treffen und lachen und reden und gute Laune haben. Und Senhora Penelope steht da mit verschränkten Armen und lacht nicht und redet nicht. Hört sie zu?
Wie sie da so steht: – drängt sich das Bild der schönen Griechin auf, die auf die Heimkehr ihres Odysseus wartet und sich der lärmenden Freier erwehren muss. Sie gleicht ihr, aber sie ist keine trauernde Griechin, die wartend einen Teppich webt und ihn immer wieder auflöst und von vorn beginnt, sie ist eine tapfere Witwe und eine geschäftstüchtige Portugiesin. Sie bewirtet die Gesellschaft, aber gegen Bezahlung. Sie klagt nicht und sie trauert auch nicht, nicht sichtbar. Sie wartet auch nicht auf die Wiederkehr des Ehemannes, denn ihr verstorbener Gatte liegt – das wissen alle, das haben alle miterlebt – auf dem Friedhof unweit des Dorfladens. Dieser Laden ist ihre Lebensaufgabe und ihr Lebensinhalt. Sie steht von morgens um 7 bis abends um 21 Uhr an der Kasse und bedient die Kundschaft mit gleichbleibender Freundlichkeit. Sie nimmt alle Informationen ohne Kommentar entgegen und ist doch keine Quelle für Klatsch und Tratsch. Selbst sonntags ist der Laden geöffnet. Wenn dann um 10 Uhr die Glocken läuten, schließt sie aber die Türe zu und geht zur Messe. Als Erste verlässt sie die Kirche und öffnet das Geschäft wieder für die Kunden, denen während des Gottesdienstes eingefallen ist, was sie noch unbedingt fürs Sonntagsessen brauchen.
Dann steht sie bis zum Mittag vor der Ladentür: Penelope, die Portugiesin, die Witwe, eine Institution des Dorfes.