Lothar Zenetti: Seiltanz
Manchmal,
in seltenen Stunden,
spürst du auf einmal
nahe dem Herzen,
am Schulterblatt
schmerzlich die Stelle,
an der uns,
wie man erzählt,
vor Zeiten ein Flügel
bestimmt war,
den wir verloren.
Manchmal regt sich dann
etwas in dir, ein Verlangen,
wie soll ich´s erklären,
ein unwiderstehliches Streben,
leichter und freier zu leben
und dich zu erheben und hoch
über allem zu schweben.
Manchmal, einen Augenblick lang –
dann ist es vorbei – erkennst du
dein wahres Gesicht, du ahnst,
wer du sein könntest und solltest.
Dann ist es vorbei.
Und du bist, wie du bist.
Du tust, was zu tun ist –
und du vergisst.
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Umdichtung
Barbara Seuffert: Kein Seiltanz
Tag und Nacht,
Eigentlich immer,
spüre ich
nahe dem Herzen,
am Schulterblatt
schmerzlich die Stelle,
an der uns,
wie man erzählt,
vor Zeiten ein Flügel
bestimmt war,
den wir verloren.
Immer regt sich dann
etwas in mir, ein Verlangen,
wie soll ich´s erklären,
ein unwiderstehliches Streben,
leichter und freier zu leben
und mich zu erheben und hoch
über allem zu schweben.
Ein Jahr lang schon hoffe ich –
es geht nicht vorbei – erkenne ich
den Sinn dieser Schmerzen.
Ich ahne, was sie mir sagen wollen.
Sie bleiben.
Und ich bin alt und gehe nicht mehr aufrecht
und tue, was zu tun ist –
und ich weine.