Der Junge mit der Mandoline
Im Orfeão de Vagos üben wir jetzt in der Vorweihnachtszeit 2016 das international bekannte Weihnachtslied vom „Little Drummer Boy“. Wir singen übrigens den Satz, wie er von unserer Nichte Eva für den Chor arrangiert wurde. Dieses Lied, das auch die mexikanischen Schwestern mit Kinderinstrumenten in unserem dörflichen Krippenspiel 2014 aufführten, wurde1941 von der Amerikanerin Catherine Davis komponiert und getextet und von der Trapp – Familie gesungen. Seit 1950 zieht das Lied um die Welt. Es erzählt von einem armen Jungen, der dem Christkind auf seiner Trommel ein Lied vorspielt, param pam pam pam.
Der kleine Trommlerjunge (The little drummer boy)
1.
Durch die stille Nacht,
da ging ein kleiner Junge
Hielt seine Spielzeugtrommel in der Hand.
Wollt zu dem Stalle, wo die Krippe stand,
Und die Trommel klang,
als er kam.
2.
Liebes Christuskind
bin nur ein armer Junge,
Wo lauter Könige mit Gaben stehn,
lässt man vielleicht mich gar nicht zu dir gehn,
hab’ ja kein Gold, hab’ ja kein Geld.
Kann nur trommeln für dich,
wenn’s dir gefällt.
3.
Und vom Himmel hoch,
da kam ein Stern herab,
Der führt ihn durch die stillen Straßen der Stadt
und seine kleine Trommel klang und sang,
Dass zum Heil der Welt,
Christus kam.
November 1948. Der Flüchtlingsjunge nahm seine Mandoline mit, keine Trommel. Er hatte keine Trommel, woher denn auch, und er durfte sowieso nicht trommeln, denn alles musste still und heimlich geschehen, niemand durfte etwas erfahren. Still und heimlich am späten Abend war auch der Dorfschullehrer gekommen und hatte der Mutter ans Herz gelegt, so schnell wie möglich mit den Kindern zu fliehen. Man war auf die begabten vaterlosen Kinder aufmerksam geworden und wollte sie auf eine besondere Schule nach Moskau schicken. Und die Mutter? Nun ja, sie könne in einem russischen Arbeitslager das Schulgeld erarbeiten.
Die hilflose Frau war verzweifelt. Bis zu diesem Dorf war sie im Februar 1945 nach wochenlanger Flucht aus der Heimat gekommen, aber hier konnten sie nicht bleiben. Wer könnte ihr helfen? Schwester Charlotte kam. Eine Fluchthelferin oder gewiss ein Engel, denn davon kann man in der vorweihnachtlichen Zeit doch wohl sprechen. Nur Engel können Gefängnisse, Grenzkontrollen und Unmöglichkeiten überwinden.
Sie brachen auf, ohne Gepäck und ohne Abschied. Da waren keine Freunde, von denen man sich trennen musste, niemand weinte ihnen nach.
Der kleine blonde Junge nahm seine Mandoline, seinen einzigen Besitz, und hielt sich daran fest. Die Mandoline hatte nur noch vier Saiten. Sie klangen fein und hell, wenn der Junge sie anzupfte. Manchmal schaute ein Erwachsener erstaunt zu und fragte: „Kannst du darauf spielen?“ Dann klammerte sich der Junge noch mehr an sein Instrument. „Das Ding sieht aus wie ein Schinkenknochen“, spottete ein Mann, „es wäre besser, wenn du etwas zu essen hättest.“
Der Junge gelangte mit seinen zwei Schwestern „irgendwie“ nach Westberlin. Hier musste sich die Mutter von ihnen trennen.
Die Kinder kamen mit einem Sammeltransport zu einem Lübecker Kinderheim. Die amerikanischen Soldaten des „Rosinenbombers“, die per Luftbrücke Nahrungsmittel nach Berlin gebracht hatten und auf dem Rückweg kranke und verhungerte Kinder mitnahmen, freuten sich über den Jungen mit der Mandoline, sie lachten ihn an und er hielt sich an der Mandoline fest.
Kurz vor dem Weihnachtsfest hörten die drei Kinder, dass die Mutter inzwischen in einem Flüchtlings-Auffanglager angekommen sei. Sie war zu Fuß in den Westen geflohen, heimlich und immer nur nachts. Nun durften sie sich wiedersehen. Nach der „Entlausung“ und Registrierung wurden die Kinder beschenkt mit „Apfel, Nuss und Mandelkern“, mit Lebkuchen und Backpflaumen. Sie waren zusammen und sangen deutsche Weihnachtslieder, die nicht mehr verboten waren wie vorher in der russischen Zone. Und der kleine Junge zupfte die vier Saiten seiner Mandoline an, das klang, als wenn die Sterne vom Himmel herabtanzten.