Oma Rosa und die Liebesbriefe

Verfasst am: 31. Juli 2014 von Barbara Keine Kommentare

Oma Rosa und die Liebesbriefe

Großmutter Rosa feierte ihren 100. Geburtstag. Das ganze Dorf feierte mit. Das ganze Dorf besteht ohnehin aus vielen Verwandten, Kindern und Freunden. Oma Rosa hat 3 Söhne und vier Töchter, die alle noch leben. Sie hat 13 Enkel, 16 Urenkel und einen Ur-urenkel.

Die freundliche kleine Frau ist eine typische Portugiesin, schwarz gekleidet mit einem schwarzen Kopftuch, mit schwarzen Wollstrümpfen in zierlichen Pantöffelchen, so wandert sie jeden Sonntag in die Kirche und täglich zu ihrer Tochter in den Kaufmannsladen, wo sie mit allen ein Schwätzchen hält. Sie kennt alle mit Namen und hat immer ein freundliches Wort. Sie ist niemals krank gewesen, die 7 Kinder hat sie zuhause entbunden, wie es früher üblich war. Ein Krankenhaus hat sie noch nie betreten und Tabletten nimmt sie auch nicht, höchstens einmal einen Hustensirup oder ein Mittel gegen Erkältung. Wenn man sie nach dem Geheimnis ihrer Gesundheit fragt, lächelt sie bescheiden und sagt, dass sie sich einfach immer gesund ernährt hat von dem, was auf dem Feld und im Garten wächst. Und dass sie viel gearbeitet hat. Besonders nach dem frühen Tod ihres Mannes, als sie den Hof und das Land allein bewirtschaften musste.

Bemerkenswert ist, dass diese kleine alte Frau lesen und schreiben kann, denn sie gehört zu den Jahrgängen, die unter der Regierung Salazars wenig Schulbildung genossen haben. Die meisten älteren Portugiesen hier auf den Dörfern sind tatsächlich Analphabeten, besonders die Frauen, die als Mädchen immer zu Hause und auf dem Feld arbeiten mussten. Das Lernen in der Schule, meistens nur 4 Jahre Grundschule, war den Söhnen vorbehalten.
Rosas Freundlichkeit und ihre Fähigkeit haben die Nachbarinnen sehr oft in Anspruch genommen, wenn sie Post von den Ehemännern im Ausland erhielten und beantworten wollten. Da fast alle Männer aus dem Dorf als Emigranten in Venezuela, Brasilien, USA, Frankreich, Deutschland arbeiteten, wurde Rosa oft zum Vorlesen aufgesucht. Die Ehefrauen diktierten ihr auch die Antwortbriefe und Verliebte baten sie, geheime Liebesbotschaften zu schreiben. Da vertraute man ihrer Verschwiegenheit. So wurde sie zur Seele des Dorfes, und es ist kein Wunder, dass sich wegen ihrer vielfältigen Dienste der Nächstenliebe alle mit dieser liebenswerten Großmutter verbunden fühlen und mit ihr ihren Geburtstag feierten.

In einem großen Festgottesdienst würdigten die Dorfbewohner und der Pfarrer António mit der Kirchengemeinde die 100jährige Großmutter Rosa, indem sie alle gemeinsam zum Abendmahl gingen.

Danach wurde eine große Geburtstagstorte mit brennenden Kerzen iin die Kirche hinein getragen. Großmutter Rosa musste die Kerzen auspusten, was sie fröhlich lachend wie in glückliches Kind tat, und alle sangen ein Geburtstagsständchen und applaudierten. Und während man genau an diesem Tag in Deutschland des Ausbruchs des 1. Weltkriegs (Mord in Sarajewo) gedachte und in den portugiesischen Nachbardörfern die Dorfheiligen Johannes, Antonio und Peter und Paul, gefeiert wurden, gab es in unserem Dorf ein fröhliches christliches Familienfest mit nicht enden wollenden Umarmungen und Küssen.

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