Meine Freundin und Übersetzerin Helga aus Porto (tradutora@sapo.pt) schrieb mir gestern einen sehr berührenden Bericht über das Kolloquium “50 Jahre portugiesische Gastarbeiter in Deutschland”, dass die Geschichte plötzlich ganz gegenwärtig und lebendig wurde, ich fühlte mich “betroffen”. Sie hat mir erlaubt, diese Mail abzudrucken als “Mails aus meinem Dorf und Land”:
50 Jahre Emigration nach Deutschland und die alte Zündapp
“Am 29. Mai von 10 – 18 Uhr fand in der Faculdade de Letras da Universidade do Porto ein Kolloquium über die portugiesische Emigration nach Deutschland statt.
1964 wurde ein Abkommen unterzeichnet, das es den portugiesischen Arbeitern erleichterte, in Deutschland eine Stellung anzunehmen. Denn man darf nicht vergessen, dass hier in Portugal eine Diktatur herrschte. Eine Freundin und ich liefen bei strömendem Regen von der Casa da Música in 15 Minuten zur Uni. Dann hörten wir uns das alles an. Teilweise sprachen sie sehr langweilig. Portugiesische Menschen wurden auch zu ihren Erfahrungen in Deutschland befragt, was schon etwas lebhafter war. Nachdem dann aber sowohl der Vortrag einer portugiesischen Dozentin wie auch der einer aus Deutschland angereisten Uniprofessorin, die in der portugiesischen Sprache von einem Blatt ablas, nicht gerade unsere Aufmerksamkeit fesseln konnten, wurde es plötzlich doch noch sehr spannend, als es zu der Geschichte eines bestimmten portugiesischen Gastarbeiters kam.
Sein Enkel war beim Kolloquium anwesend und erzählte von seinem Großvater. Zu dem Zeitpunkt des Abkommens 1964 wurden in Portugal Arbeiter für Deutschland angeheuert. Ein portugiesischer Zimmermann namens Armando Rodrigues de Sá aus dem portugiesischen Dorf Vale de Madeiros, Bezirk Viseu, 38 Jahre alt, nahm das Angebot an, um seine Lebenslage zu verbessern, und reiste mit der Bahn nach Deutschland. Solch eine Reise dauerte damals 3 Tage und war sehr anstrengend, man saß auf Holzbänken und war froh, als man am Ziel ankam. Als er zusammen mit vielen Spaniern und Portugiesen am 7. September 1964 auf dem Bahnhof Köln-Deutz aussteigt, wird sein Name durch den Lautsprecher aufgerufen. Er hat sich furchtbar erschrocken. Zuerst dachte er, mit seinem Arbeitsvertrag stimmt was nicht oder dass die PIDE (damalige Polícia Internacional e de Defesa do Estado) ihn nach Portugal zurückholen wollte. Aber nein: er bekam einen Blumenstrauß überreicht, eine Ehrenurkunde und ein Zündapp-Moped geschenkt und es wurde ihm verkündet, dass er der millionste Gastarbeiter in Deutschland geworden sei.
Von da ab wurde er viel interviewt, kam in die Zeitung und ins Fernsehen.
Er starb 1979 im Alter von 53 Jahren.
1992 begann man, nach dem Mann zu suchen.
1999 gelang es dem Konsul Kurzhals von Porto, die Familie in Vale de Madeiros auszumachen. Seine Frau lebte noch, und Kinder und Enkel. Dann fanden sie das ganz verstaubte alte Moped in einem Schuppen seines Hauses. Nachdem festgestellt wurde, dass es sich tatsächlich um das Original handelte, das er damals in Deutschland geschenkt bekam, wurde es der Familie für 10.000 € abgekauft und steht nun im „Haus der Geschichte“ in Bonn.
Diese ganze Angelegenheit war dann sehr interessant, auch was der Enkel dazu zu sagen hatte und noch viel Drumherum, denn es kamen Menschen zu Wort, die in Deutschland geboren wurden als Kinder von Gastarbeitern, wie sie dort praktisch als Deutsche gelebt haben, bis sie eines Tages wieder nach Portugal zurückkamen… überhaupt das Gefühl: bin ich Portugiese oder Deutscher…. jede Lebensgeschichte ist eine für sich.”