Was für ein Theater!

Verfasst am: 21. Dezember 2012 von Barbara Keine Kommentare

Was für ein Theater!

Die Theatergruppe Palhaça lud ein (heißer Tipp von Hagens Klavierlehrerin) zu ihrer Aufführung eines der bedeutendsten portugiesischen Dramen.
Beginn 20:30 Uhr.
Wir waren pünktlich – und niemand war da. Der große neue Saal : gähnende Leere.
Dann wurden wir von einem älteren Herrn mit Glatze und wohlwollendem Lächeln, der hinter dem Tresen so verschwand, dass wir ihn gar nicht gesehen hatten, aufmerksam gemacht, dass wir eine Karte zu erwerben hätten. Bester Sitzplatz in der 1. Reihe, 6 Euro.

Wir saßen vor dem Vorhang und warteten – wie immer. Nach einer Viertelstunde kam eine nette Dame und brachte uns den Programmzettel, na, immerhin. Zum ersten Mal ein Programm! So konnten wir uns informieren, was hier überhaupt gespielt wird. Und da lasen wir dann:

Frei Luís de Sousa (obra)

Drama, da autoria de Almeida Garrett, escrito em 1843 e publicado em 1844, é considerado a obra-prima do teatro romântico e uma das obras-primas da literatura portuguesa. Estreou publicamente em 1847, no Teatro do Salitre, mas num formato censurado – a versão integral só seria levada à cena no Teatro Nacional, posteriormente Teatro Nacional de D. Maria II, em 1850.
O enredo, inspirado na vida do escritor seiscentista Frei Luís de Sousa, de seu nome secular D. Manuel de Sousa Coutinho, tem como pano de fundo a resistência à dominação filipina. Sete anos depois de o seu marido, D. João de Portugal, ter sido dado como morto na batalha de Alcácer Quibir, D. Madalena de Vilhena desposa D. Manuel de Sousa Coutinho, de quem tem uma filha, Maria, com quem forma um lar virtuoso e feliz. A sua existência só é perturbada pelos tristes pressentimentos da frágil e sensível Maria e de Telmo, o velho aio, que continua à espera do regresso de D. João. Este aparece, disfarçado de romeiro, e dá a conhecer a sua verdadeira identidade. O desfecho é trágico: Maria morre na igreja, no preciso momento em que os seus pais professam. O crescendo dramático que envolve a ação culmina, assim, numa catástrofe, que é, todavia, de índole essencialmente psicológica e ideológica, conduzida com extrema sobriedade.Na célebre memória “Ao Conservatório Real” que acompanha a peça, Garrett define o drama como “a mais verdadeira expressão literária e artística da civilização do século”, sobre a qual exerce, ao mesmo tempo, uma “poderosa influência”. Ressalvando que a “índole” da sua composição pertence ainda ao “género clássico”, critica o modo como na sua época se pretende fazer o drama, com um excesso de violência e de imoralidade, e alega ter desejado “excitar fortemente o terror e a piedade”, usando de contenção e simplicidade.

Dazu eine ellenlange Namensliste der Schauspieler, da schien halb Palhaça mitzuwirken.
Allmählich kam auch die andere Hälfte der Bewohner dieses Ortes und nahm Platz. Nach 9 Uhr konnte das Spektakel beginnen. Beethovens 5. erklang. Der Vorhang ging auf, und “OH!”: ein adlig ausgestatteter Salon eines portugiesischen Schlosses bot sich dem Betrachter. Mannomann, da hatten die ja eine tolle Kulisse hingezaubert und gebaut und gemalt und geschneidert! In dieser Pracht saß eine kleine dicke Frau in raschelndem Taft – aha, die Schlossherrin. “Ist die ausgestopft?”, fragte Hagen. “Nee, die lebt”, stellte ich fest. “Aber die ist so überdick”, entschuldigte er sich. Und meine alte Nachbarin rechts flüsterte stolz, das sei ihre Verwandte, wie überhaupt fast alle Mitspieler ihre Verwandten, Söhne, Töchter seien.

“Überdick” war das richtige Stichwort für das Spektakel, denn alles war überdimensioniert, überzogen, überladen.
Das Drama entwickelte sich sehr mühselig durch die langatmigen Dialoge mit den immer gleichen Gesten der Gräfin und ihres alten Dieners. Aus dem Hin und Her ging nicht hervor, warum alle so verzweifelt waren. (Schlechte Regie des alten Herrn, der sich kurz vor Beginn noch dem werten Publikum als Incenador vorgestellt hatte und der jedes Wort dieses bedeutenden portugiesischen Dramas so wertvoll fand, dass er nichts gekürzt hatte.) Nach einer Stunde portugiesischer Rede und Antwort tauchte der Schlossherr auf – in einem kunstvoll im Stil der damaligen Zeit geschneiderten Kostüm aus Taft – Landsknechtspumphosen, Strumpfhosen als “Beinkleider”, Spitzen und Rüschen und wunderschöne handgenähte Lederschuhe (das Beste an dem gesamten Aufputz) – und fuchtelte auf der Bühne herum und klagte laut über herannahende Spanier, die Portugal annektieren wollten. Das wolle er aber nicht zulassen, sondern lieber den Palast niederbrennen.

Und nun geschah etwas total Bühnen-Verbotenes, aber durchaus Herrliches, Schönes für portugiesische ZUschauer und Laienspieler: Die Diener legten doch wirklich Werg auf die Bleche des Bühnenbodens, tränkten dies mit Petroleum und setzten alles mit brennenden Fackeln in Brand! Dazu wurde Qualm auf die Bühne gepustet, die Schauspieler kreischten (laut Drehbuch), das Publikum hustete und klatschte begeistert ob der fantastischen Realität und der Hektik und Gefahr –

ACTION!!!

In jedem Portugiesen erwachte das Herz eines Freiwilligen Feuerwehrmannes oder die Angst um das liebe Vaterland beim Weltuntergang.
Die Flammen loderten. Lichterloh brannte alles.

Dann musste oder sollte eigentlich der Vorhang zugehen, der bauschte sich aber bei dem Aufwind durch die Hitzewellen und Flammen und konnte nur mit Gewalt von vielen starken Männerarmen gehalten werden.

Offenes Feuer auf der Bühne – das glaubt mir doch wieder kein Mensch!

Pausenloses Applaudieren.
Dann eine lange Pause wegen des Umbaus.
Wir fassten zusammen: Also, da war eine große Schlacht in Alcácer Quibir (Nordafrika) gewesen, aus der der edle Herr Frei Luis de Sousa nicht wieder zurückkehrte, so dass nach längerer Trauer die Ehefrau nicht mehr wie das alte Portugal auf die Wiederkehr des jungen König Sebastian untätig dasaß und wartete, sondern seinen Bruder heiratete und eine Tochter bekam. Und wir ahnten die Tragik, dass im letzten Akt der verlorene Held wiederkommt und enttäuscht über seine untreue Ehefrau sein wird. Ist ja ziemlich modern, diese Thematik aus der Nachkriegs-Trümmerliteratur, vergleiche Wolfgang Borchert “Draußen vor der Tür”. Allerdings dauerte es bis zum letzten Akt noch 3 Stunden.
3 Stunden theatralische Reden, Reden, Reden.
3 Stunden portugiesische Geschichte verquickt mit modernen technischen Erfindungen, Apparaten und Bühneneffekten. Altmodische Perücken und gleichzeitig Mikros und Hörgeräte, Kleider aus dem alten Portugal mit modernen Reißverschlüssen, Illusion und Realität im schrillen Gegensatz.

Völlig unverständlich war mir das Gejammer (er jaulte 30 Minuten und weinte blutige Tränen aus Lippenstift! und heulte und schniefte wie ein schlechter Fadosänger “Ai meu Deus, meu Deus”), das unerträgliche, ungekürzte, unmännliche Geheul des Ersatzgatten über seine “Schuld” (?), nachdem der rechtmäßige Herr nach 20 Jahren als Pilger aus dem Morgenland tatsächlich wieder heimkam. Was hatte der denn vorzufinden gehofft? Eine vertrocknete, aber “treue” Ehefrau? Und wieso bestraft die Kirche die “schreckliche Sünde” (welche eigentlich?) der beiden “Ehebrecher” (hä??), indem sie sie ins Kloster steckt? Und wieso dreht die “zarte, fragile” Tochter durch, deren “Sensibilität” bei der stattlichen 50jährigen Schauspielerin mit dem Mikrofon an der Wange eh unglaubwürdig war? Sie hatte doch gar keine Schuld und muss nun auf der Bühne sterben. Und was wird jetzt aus dem schönen Besitz dieser adligen Familie? Den verleibt sich die Kirche ein, denke ich.

Bei der Schlussszene in der stilecht nachgebauten Sakristei standen drei Priester in Goldbrokat-Kaseln (casula) vor dem Alter, vor dem auf dem Boden das Ehepaar in Büßerhemden und die sterbende Tochter im Nachthemd lagen, und 10-12 Dominikaner-Mönche saßen stumm und andächtig herum oder psalmodierten, während im Hintergrund der rachsüchtige Pilger tobte und die sakrale Bach-Musik übertönte.

Was mir dennoch gut gefiel:
So viele begeisterte Akteure auf der Bühne, die mit Leib und Seele spielten was für ein Potential hier auf dem Land im Norden!
So viel Engagement beim Herstellen der Kostüme und Kulissen und beim Erlernen der langen Texte!
So viel Nationalstolz und Geschichtsbewusstsein!
Soviel portugiesisches Gefühl!
Soviel Kirchenpräsenz!

Soviel Theater!!!!

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