Der Handschuh der Fischer

Verfasst am: 15. Juni 2011 von Barbara Keine Kommentare

Die Handschuhe der Fischer

Natürlich habe ich, literaturbeflissen und balladenverliebt, sofort gedacht: "Den Dank, Dame, begehr ich nicht!", als mir das Meer den leuchtend orangeroten Handschuh mit dem fehlenden Zeigefinger zuspielte, den wohl Panther, Tiger und Co. bzw. der Atlantico mit seinem gierigen Schlund schon abgefressen hatten. Ich kann mir nicht helfen, ich musste an Schiller denken, als der Handschuh da vor meinen Füßen lag. Und "mit festem Schritte" nahte ich mich ihm, nahm ihn auf "mit keckem Finger" und betrachtete ihn.
Doch er erzählte eine andere Geschichte als die von Fräulein Kunigunde und Ritter Delorges. Allerdings auch eine von dem männlichen Stolz, der bei jeder Patronenhülse, jedem Stück Tau, jedem Feuerzeug und Rasierapparat mitschwingt, die ich am Strand aufsammelte: Der Stolz der Fischer, die einem keine Antwort geben, wenn man dämliche Touristenfragen stellt oder wenn man sie bei ihrer Arbeit stört. Und sie arbeiten immer, auch wenn sie nicht draußen beim Sardinenfang sind, sie sitzen im Sand und flicken die Netze, legen sie in der Sonne zum Trocknen  aus, schrubben ihr Boot, sortieren die Netzfäden und Stricke und laufen zu Höchstform auf, wenn das Netz eingeholt wird. Da wird geschrieen und gerannt und gezerrt und geschoben, zuerst wird das "kühn gekielte"(Zitat von E. Spies) Boot an Land gezogen und auf Baumstämmen über den Sand geschoben, dann wickeln zwei Traktoren die Fangleine auf. Überall sieht man die nackten Männerbeine flitzen, barfuß stemmen sich die Männer in den Sand und ziehen mit voller Kraft diese vom Salzwasser gehärteten und von der Sonne gebrannten Seile, die stark wie gedrillte Drahtseile sind, so dass unsereins sie nur mit einer Zange schneiden konnte.
Endlich ist der Fang an Land, das Netz ist mehr oder weniger gefüllt und liegt da mit der silbrig zappelnden Beute, und da erwacht ihr männlicher Besitzerstolz, es ist ja ihre Beute! Nun kommt die Show, die mich schon vor Jahren faszinierte ("Der Fischer von Vagos" in dem Reisebuch "Wohlauf…"), als der junge Fischer sich da vor den Zuschauern und besonders vor dem schwarzhaarigen Mädchen im roten Kleid aufspielte, mit den nackten Füßen zwischen den Fischen tanzte und die schönsten Tiere in ihre Tüte warf,("Den Dank, Dame, begehr ich nicht." Er stand da ja im Überfluss, hatte noch kiloweise Fische zu seinen Füßen.),warf die Fische in eine Tüte, die das Mädchen ihm hinhielt – eine sehr sinnliche Szene, die dieser Fischer sehr genoss, auch ohne den "zärtlichen Liebesblick – er verheißt ihm sein nahes Glück".
Ja, wenn sich die Männer da über ihren Fang bücken und die Fische sortieren und auswählen und hin und wieder einen zur Seite werfen, weil er nicht der Norm und der Marktnachfrage entspricht, wenn sie da über ihrer Beute stehen, ganz Herr und ganz Mittelpunkt, dann ist das ihr großer Augenblick. Und alle Zuschauer stehen auch ganz andächtig und ehrfürchtig um sie herum, niemand würde sie dabei stören oder unterbrechen.
Allerdings haben wir das doch einmal gemacht und gefragt, warum sie diese großen prächtigen Fische wegwerfen und was das für Fische seien. Einer der Männer, ohne den Kopf zu heben, sagte ganz freundlich und ruhig, das seien entweder Fische, die größer als die anderen sind, deren Geschmack den Kunden zur Zeit nicht gefällt und die die Händler nicht abnehmen. Und er setzte hinzu: "Die könnt ihr haben." In seinen hoheitsvollen Worten war wieder dieser Stolz zu spüren: "Den Dank, Dame, begehr ich nicht." Es war Stolz, nicht Arroganz oder Hinterlist. Und dieser redliche Fischer hätte uns auch niemals einen schlechten unbekömmlichen Fisch angeboten oder uns mit seiner Auskunft belogen oder lächerlich gemacht.

Meistens haben sie gar nichts gesagt wie damals, als ich fragte, für wen die Opfergaben auf einem Tischtuch am Strand bestimmt seien. Wer das gemacht habe. Der Alte griff nach meiner Hand, betrachtete die Innenfläche und murmelte: "Ist gut. Aber nichts berühren."
Später habe ich meine weise Nachbarin gefragt, warum er meine Hand betrachtet habe, was er denn da gesehen habe, warum das "gut" sei.
Sie druckste ein wenig herum und erklärte was von "cinque sem mao", wie ich verstand. Was heißt denn cinque sem mao –fünf ohne Hand? Ich war lange ratlos und wälzte Bücher und Geheimschriften, bis das Rätsel gelöst war: Der Fischer hatte das Salomon-Zeichen, das signum Salomonis gemeint, den fünfzackigen Stern, den die Linien in der Hand bilden.Wir kennen dieses magische Zeichen als Pentagramm und auch als Drudenfuß, als Abwehr gegen Schäden und Böses.
Da hatte mir dieser wortkarge Mann mit seinem Gemurmel einen tiefen Einblick in den portugiesischen Volksaberglauben gewährt.
Oder auch in die Frömmigkeit. Denn einmal, als wir mit einem dieser Männer in den Dünen standen und auf den tobenden Ozean schauten und über Hochwasser und Einsturzgefahr und Katastrophen sprachen, wobei das Gespräch mehr ein Monolog war, bestand sein Beitrag in zwei Wörtern. Er zeigte zum Himmel und sagte: "Gott befiehlt."

An diese Geschichten erinnerte der Handschuh am Strand.Später habe ich zu dem orangefarbenen Handschuh noch einen dunkelblauen gefunden und habe beide zusammen aufgeklebt, einen rechten und einen linken.

Aber ich habe über alles ein dunkles Netz gespannt, denn genauso wie den Ritter Delorges und das Fräulein Kunigunde verstehe ich die Fischer von Vagos wohl auch niemals richtig.

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