Ein portugiesisches Dorf in HH

Verfasst am: 18. November 2008 von Barbara 1 Kommentar

Volkmar über die Emigrantenszene in Hamburg:

Portugiesische Dörfer gibt es wohl nicht nur in Portugal, sondern auch in Deutschland. Ich bin gerade in Hamburg, wo mich Freunde in die „portugiesische Szene“ einluden. Man steigt an der Station „Landungsbrücken“ aus, nicht weit von der Reeperbahn, und ist bald mitten im portugiesischen Viertel, wo die etwa 9.000 Lusitanier ihr „Dorf“ haben.

Clou unseres Aufenthaltes war aber am letzten Sonntag der Besuch des Gastspiels einer Theatergruppe aus Lagos. Es handelt sich um eine Rentnertruppe von 65 bis etwa 85 Jahren, die in der Aula einer Schule das Stück „A toca da Rosa“ aufführten. Was wohl so viel bedeutet wie „Die Höhle (Treffpunkt, Bistro, Ortsmittelpunkt) von Rosa“.

Das Stück sollte um 16 Uhr beginnen. Wir waren um 15.30 Uhr dort, pünktliche Deutsche, unter den Ersten. Dann trudelte das Volk ein. Nach den Begrüßungsritualen zu urteilen müssen sich die Leute nach vielen Jahren der Trennung endlich wieder gesehen haben. Tatsächlich wohnen sie aber ständig dicht nebeneinander, wissen alles über sich und die anderen. Kühltaschen mit Imbiss hatten sie nicht dabei, weil der Verzehr in der Aula verboten war. Ganze Familien waren anwesend, die sich auch gegenseitig gut kannten. Die Kinder waren gut integriert, und das etwa 4 Stunden lang.

Um 16.20 Uhr traf dann die Gruppe der drei Verantwortlichen für Kultur ein. Betont cool, ein Fotograf machte eilfertig Bilder. Jemand hielt eine Rede, unvorbereitet, wie ich entnehmen konnte, aber er fand durch Wiederholungen dann doch zum flüssigeren Vortrag. Was mich an Predigten afrikanischer Pastoren erinnerte, die sich in Spiralen über mehrere Durchläufe zur reinen Endform steigern. Beginnt Afrika schon in Portugal, rhetorisch gesehen?

Es wurden dann immer mehr wichtige Leute nach vorne zu der Begrüßungsmannschaft  gebeten, alle sagten sie etwas. Dann bekamen sie Geschenke von der Präsidentin, die immer nur strahlte, so dass ich bei ihr schon eine Gesichtslähmung vermutete.

Gegen 16.45 Uhr begann das Theaterstück. Ich nehme mal das Positive vorweg. Die Laiendarsteller (4 Männer, 13 Frauen) hatten großen Spaß und spielten mit Begeisterung, auf ihre Art. Sie kleideten sich mit Lust ständig um für neue Szenen. Das Publikum, ich denke, es waren mehr einfache Leute, war äußerst dankbar für jeden Gag (den ich selten verstand). Ein Stück portugiesische Heimat für Emigranten im kühlen Norddeutschland.

Das Stück selbst war furchtbar einfach und stellte keine Herausforderungen an die Dramaturgie. Bei Rosa treffen sich also Leute aus dem Dorf, immer neue kleine Gruppen, und besprechen einzelne Begebenheiten. Kleinstadtklatsch. Die Szenen werden jeweils unterbrochen durch Musikstücke. Es waren weit über 20. Jemand aus der Truppe singt dann Playback. Das geht selten synchron mit der Lippenbewegung, ist aber auch nicht so wichtig. Wichtig ist das neue Kostüm, meistens schrille Farben. Wir haben uns gefragt, ob diese Kostümierung Selbstveräppelung oder Ernsthaftigkeit ist. Ich fürchte, die Leute fanden sich tatsächlich schön in all dem Tüll und Gefludder.

Eigenartig, wie man zu den oft traurigen Fados recht derbe Späße machen kann. Die Musik passt nicht zu der Darstellung, finde ich, und so gibt mir der portugiesische Nationalcharakter einige Rätsel auf. Bei aller saudade scheinen es die Portugiesen faustdick hinter den Ohren zu haben. Und wenn ich an das große 15./16. Jahrhundert der Leute denke, an ihre Hochliteratur,  und mit der Gegenwart vergleiche, wird alles nur noch rätselhafter.

Derbe Späße: Ein Aerobic-Lehrer (75 plus) bringt einigen Damen (im knappen Sportdress, mit kompakten Rundungen) neue Bewegungen bei. Dabei verliert er seine Hose und steht im Slip da. – Das Publikum rast vor Begeisterung und schlägt sich auf die Schenkel.

Dann werden auch Schnulzen per Lautsprecher zu Gehör gebracht, Schmachtfetzen, mit viel Gefühl, neuem Outfit und entsprechenden Gesten dargeboten. Zwischendurch klatscht das Publikum, der Gesang setzt neu ein, die Playback-Darstellerin hat den Faden verloren, kriegt sich aber wieder ein.

Die Rentner-Truppe scheint ihre Hackordnung zu haben. Manche stehen ständig im Rampenlicht, andere nur im Hintergrund. Da mein Portugiesisch mehr als begrenzt ist, achte ich eben auf die schauspielerischen Qualitäten. Die finde ich bei  den Hintergrund-Akteuren oft besser entwickelt als bei den „Rampensäuen“.

So geht das, mit Pause, knapp 4 Stunden. Zum Schluss kommt der Regisseur (etwa 50) auf die Bühne. Er kann vor Ergriffenheit kaum sprechen. Das Publikum klatscht ganz lange, hilft ihm über die Emotionen hinweg, und dann sprudelt er, unaufhörlich.

Gesamteindruck: Insgesamt positiv. Ich versuche, mir eine ähnliche Truppe vorzustellen, deutsch, die im Ausland vor Auswanderern, Emigranten spielt. Es gelingt mir nur schlecht. Weder solch eine Truppe noch solch ein Publikum kann sich meine Fantasie ausmalen. (Ich würde aber sicher nicht zu einer solchen Darbietung gehen.)
Fragt sich, wer glücklicher ist.

Eine Antwort

  1. Volkmar schreibt:

    Um unser Portugal-Abenteuer im kühlen Hamburg abzurunden, wurden wir zu einer Weinprobe eingeladen. „Calpeso“ heißt die große Niederlassung in Altona, Schützenstraße, wo hauptsächlich spanische Weine und Delikatessen verkauft werden. Es gibt aber auch eine gut sortierte kleine portugiesische Abteilung. Unseren portugiesischen Wein kaufe ich in der Regel dort auf Vorrat ein. Hier in Frankreich ist es für mich so gut wie unmöglich, solchen Wein zu bekommen. (Ein weiterer Tipp für Hamburg-Besucher: Fährt man ein paar Schritte weiter in den Beerenweg, ist man bei „Andronacho“, einem riesigen italienischen Laden, wo man bestens und sehr günstig essen und einkaufen kann.)

    In der vergangenen Woche hatten sich nun etwa 60 Hanseaten bei Calpeso versammelt, um Wein zu probieren: Vinho Verde, den roten Casa do Lago, einen Douro-Wein mit der deutschen Bezeichnung „Fabelhaft“, Portwein und andere Tropfen. Gereicht wurden portugiesische Gaumenfreuden, das Beste des Abends.

    Ich habe meine bisherigen Weinkenntnisse, die durchaus zu erweitern sind, in Frankreich erworben, sie sind auf Portugal nicht übertragbar. Um einmal Zugang zu den lusitanischen Geheimnissen zu bekommen, kaufte ich dort im Lande etwa zehn verschiedene Rot-Weine in unterschiedlichsten Preisklassen. Mein Urteil: Ich fand sie alle gut bis sehr gut. Es lag wohl daran, dass die Weine immer die richtige Temperatur hatten, und es lag am richtigen Dekantieren. Die meisten portugiesischen Weine sind heute gut, man kann bei etwas Kenntnis wenig falsch machen, und die Preise sind noch recht demokratisch. Portugal muss nach der verheerenden Salazar-Zeit den Anschluss an den Markt finden. Das geht bei guter Qualität vorerst nur über akzeptable Preise.

    Aber zur Weinprobe: Die wurde durch die Lesung von Paul Grote aus seinem Krimi „Der Portwein-Erbe“ umrahmt. Um nach dem Gehörten mein Urteil über diesen Roman, den ich von ihm auch nicht gelesen habe, vorwegzunehmen und mir Kommentare zu verkneifen: Es war ein echter Paul Grote.  Der Autor las vor allem lange Passagen über die Landschaft am Douro und die dortige Weinkultur vor, in die er sich eingearbeitet hatte,  - vor einiger Zeit hatte das bei seinem „Rioja für den Matador“ noch der anerkannte Experte David Schwarzwälder gemacht. Aber die Spanier in Hamburg haben eben mehr Geld für kulturelle Veranstaltungen.

    Was mir bei dieser sehr deutschen Weinprobe auffiel, und was sie von französischen (auch von portugiesischen? Wie machen die das?) Verhältnissen völlig unterscheidet: Man trank den gesamten Wein immer aus, man kostete ihn nicht einfach, leerte den Mund nicht aus, trocknete ihn nicht mit Brot. In Frankreich schmeckt man nur, man schluckt nicht hinunter. Man machte hier beim gemeinsamen Kosten auch keine Kommentare, gab sich keine Tipps, verwies nicht auf Besonderheiten. Undenkbar bei Romanen. Es war praktisch eine pseudo-sakrale Handlung. Die Hanseaten waren mucksmäuschenstill und lauschten den Ausführungen des Autors. Sie waren auch vorher dazu vergattert worden, hätten dies aber jedoch auch von selbst getan. Keinerlei Schlürfgeräusche, kein Klappern von Besteck, kein Gläserklingen. Einige der Adepten hatten Taschenbücher des Verfassers zum Signieren vor sich liegen wie Novizen ihren Thomas von Aquin.

    Ich wurde an die Zeit erinnert, wo wir als Studenten den wirklich großen Personen zuhörten, die uns das Leben erklärten. Das waren meistens Theologen, Philosophen, da ging es um Gott, um das Unendliche, um Geistliches. So gebannt saßen wir damals und lauschten. Und hinterher aßen und tranken wir auch, das war die andere Dimension des Lebens.

    "Wenn Fasten, dann Fasten, wenn Rebhuhn, dann Rebhuhn!" sagt Teresa von Avila. Denke ich aber an die Weinprobe, dann scheint das Rebhuhn bei uns Deutschen inzwischen zum Fasten geworden zu sein. Aus der Spiritualität ist die Spirituose geworden. Sollte der Himmel auf diese Weise auf die Erde hernieder gekommen sein?  Dann wären wir wirklich ziemlich runtergekommen.

Eine Antwort verfassen