Der Tag der Alten

Verfasst am: 2. Oktober 2008 von Barbara 1 Kommentar

Tag der Alten
1.10.2008

3 Wochen übten wir die Lieder für die Missa am "Tag der Alten" ein. Generalprobe war zwei Tage davor, besser Nächte davor, denn die Übstunde in der dunklen nächtlichen Kirche beginnt erst nach 22 Uhr und endet irgendwann gegen Mitternacht. Wir sangen trotzdem mit großer Hingabe und übten die vierstimmigen Sätze ein, und alle waren mit Eifer bei der Sache, obwohl der Chorleiter nur 20 Sänger angemeldet hatte.
"Wieso denn angemeldet?"
"Na, hinterher zum Essen…!"
"Zum Essen??"

Wir erfuhren, dass die Kreisstadt Vagos jedes Jahr ihre Alten zu einem Ehrentag einlädt. Da gibt es zuerst einen Gottesdienst und danach ein großes Essen. Im letzten Jahr kamen 1.400 alte Menschen, aus allen Altenheimen und aus allen Dörfern wurden sie herbeigeholt, die Busse der Stadt und die Caritas-, Feuerwehr-, Ambulanzwagen und sämtliche Kleinbusse der Kirchen-Gemeinden waren unterwegs, erzählte man uns. Aber ich konnte mir das nicht vorstellen, dass sich die alten Menschen in dieser großen Zahl irgendwo zum Gottesdienst und danach zum gemeinsamen Essen versammeln. Das wäre ja geradezu ein Kirchentag der Rentner und Senioren. Und wo sollte das stattfinden? Wer hat denn solche Kapazitäten und kann so viele Menschen bewirten?

Der Chor sollte um 10:30 Uhr im Pavilhao der Camara Municipal (in der Stadthalle) sein, der Gottesdienst sollte um 11 Uhr beginnen. Wir waren auch pünktlich da und das war gut so, denn dann hatte ich Zeit, alles zu bestaunen. Die Stadthalle ist eine riesige Arena, wo auch Sportwettkämpfe (Basketball) ausgetragen werden. Die Tische waren auf der gesamten Saalfläche aufgestellt worden, die Ränge blieben leer.

Ich zählte in jeder der 9 langen Reihen jeweils 16 große runde Tische mit je 11 Gedecken. Die Halle sah sehr festlich aus und hatte wirklich keine Ähnlichkeit mit einem Bierzelt. Die Tische waren mit weißen bodenlangen Tüchern gedeckt, auf ihnen prangten hübsche Blumengestecke aus weißen Rosen, gelben Astern und Efeu  und Kerzenleuchter. Jedes Gedeck bestand aus zwei Tellern, zwei edlen Gläsern und gutem Ess- und Torten-Besteck und weißen Servietten. Das war noch aufwändiger und liebevoller vorbereitet als auf den großen Hochzeiten, die ich hier schon miterlebt habe.

An einer Stirnseite der Halle, sozusagen im "Tor" des Fußballfeldes, war der Altar auf einem Podium aufgebaut, auf den Rängen dahinter stellte sich unser Kirchnchor auf und beobachtete die hereinströmenden Menschen. Sie kamen alle. Sie kamen wirklich alle, an Krücken, in Rollstühlen, am Arm der Nonnen und Pflegerinnen, manchmal ganz forschen Schrittes und in kichernden Trupps, manchmal auch langsam und müde und gebückt. Sie kamen so, wie man sie auch im Dorf sieht, mit Schürze, Kopftuch und Hut oder mit Pullover und Turnschuhen. Ein nicht enden wollender Strom. Am Eingang hatten ein paar junge Leute aus der Volkstanzgruppe jedem Ankömmling ein farbiges Schildchen angeheftet, so konnten die Saalordner die gelb, pink, orange, blau, grün markierten Gäste an die Tische bringen, wo "ihr" Dorf Platz genommen hatte. Es waren wirklich tausend und mehr alte Menschen, gewiss tausendvierhundert.

Dann zog der Bischof mit vier Padres ein. Alle standen auf. Wir sangen voll Schwung "Freue dich, Jerusalem, lobe und singe, du Gottesvolk." Die Messe begann und der ganze Saal machte ehrfürchtig mit. Am meisten berührte es mich, als in derselben Sekunde 1.400 Menschen dieselbe Bewegung machten und das Kreuz schlugen, auch wie sie das Vaterunser murmelten und überhaupt so sehr freundlich und willig miteinander beteten, sangen, sich Christi Frieden wünschten und Gott feierten. Während der Ansprache trug der Bischof Antonio von Aveiro seine Mitra, und da wir ja nun "voll hinter ihm standen" (in jeder Hinsicht!) las ich andächtig die golden eingestickten Worte IN MANUS TUAS und darunter portugiesisch NAS TUAS MAOS. Verstehen konnten wir von seiner Predigt allerdings nichts, weil die Lautsprecher nur in den Saal gerichtet waren. Aber das war ganz deutlich zu spüren: Hier waren wir alle in Gottes Hand, alle diese alten Menschen waren geliebt und in Seiner Hand.

Bei der Eucharistiefeier nahmen der Bischof (jetzt mit violettem Käppi) und die vier Priester die Hostien, stiegen vom Podium herunter und gingen von Tisch zu Tisch und spendeten das Sakrament. Die Männer und Frauen kamen auch ganz zutraulich und ohne Berührungsängste von den hinteren Tischen zu ihm, und ich sah keinen, der sich da verweigerte.

Der Chor sang dreimal das Lied " Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder, werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen" mit 4 Strophen, Refrain und allen Schleifen und Wiederholungen.

Um 1 Uhr war die Feier zu Ende, die 37 Kellner standen schon mit ihren Platten voller Vorspeisen und Brötchen bereit und schleppten Weinflaschen herbei.

Der Ansturm auf die Toiletten begann. Ich dachte daran, dass die meisten alten Leute bestimmt schon seit 6 Uhr in der Frühe angezogen und gewaschen und zurechtgemacht auf das Auto gewartet haben, das sie abholen sollte, dass sie so lange still gesessen und gewartet haben müssen. Ich sah sie alle an, dieses Volk der Portugiesen vom Lande, und ich schmolz wirklich dahin, weil ich sie so liebe. Zum Glück konnten wir immer wieder ein Lied schmettern und so unserem Herzen Flügel verleihen.

Nach den Petiscos, den kleinen pikanten Häppchen, brachten die schwarz-weißen Ober die Gemüsesuppe in silbernen Terrinen. Das sieht wirklich toll aus, wenn 37 livrierte Männer in einer Reihe hintereinander einmarschieren und in der Rechten hocherhoben so einen Suppenpott-Pokal tragen. Die weiße Serviette über dem rechten Arm flattert dabei wie eine Siegesfahne.

Nach der Suppe legten die Kellner jedem Gast Schweinebraten, Reis und Erbsen vor und liefen hin und her, um neue Platten zu holen und nachzuliefern. Das Essen nahm überhaupt kein Ende, noch eine Portion und noch eine Portion… Zwei Redner feuerten derweil die Gäste an, für den Bürgermeister und die Stadt Vagos und und und alle möglichen Personen zum Dank zu klatschen. Der Bischof und einige Promis eilten zu ihrer nächsten Verpflichtung. Die Stimmung wurde immer gelöster, man lachte schon laut, aber die meisten alten Männer aßen immer noch. Dann postierte sich ein junges Pärchen auf der Bühne und tanzte professionell einen afrikanisch-brasilianischen Tango. Ist doch toll, dass auch noch ein schöner Tango-Jüngling, ein paar schöne Beine und ein kurzes Röckchen geboten werden, um uns alle zu erfreuen. Um 3 Uhr warteten wir immer noch, jetzt auf den nächsten Gang: Spanferkel (muss sein!) und auf den Nachtisch. Ein Keyebord wurde auf die Bühne gebracht, die fetzige Musik setzte dröhnend ein, der Wein tat seine Wirkung, meiner Nachbarin fielen die Augen ein bisschen zu, nur ein bisschen, und –
hach ja, -
ich kann auch nicht mehr…

Eine Antwort

  1. volkmar schreibt:

    Wer war denn der Veranstalter, die Kirche, die Stadt oder beide? Und wer bezahlt, die Veranstalter oder/und gibt es einen Eigenbeitrag?

    Eine schöne Sache, solch ein Treffen für die "Alten". Wenn man vergleicht, dass in Deutschland Euthanasieprogramme diskutiert werden…..
    Allerdings veranstalten auch Kirchen- und Stadtgemeinden gelegentliche Nachmittage, aber nicht in solch großem Rahmen und nicht mit solch kulinarischem Aufwand.

    Glückliches Portugal!

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