Die leuchtende Schwelle

Verfasst am: 1. Januar 2008 von Barbara 2 Kommentare

Die leuchtende Schwelle

Neben dem läppischen "Guten Rutsch" – welcher sprachlose Ignorant sich das wohl mal ausgedacht hat, was jetzt sogar von den seriösen Tagesschau-Sprechern als Schlusswort am Jahresende übernommen wird – sprach ein Brief zum Jahreswechsel den Wunsch aus, "es möge mir schon jetzt bisweilen ein Schimmer des Ewigen hereinleuchten".

O ja, es leuchtete.
Es leuchtete in der Dunkelheit.
Es schimmerte die Schwelle von der Gegenwart zur Zukunft, vom Hier und Jetzt zum Dortdrüben, vom festen Grund hin ins dunkle Ungewisse.

Wir standen in der Silvesternacht am Meer.
"Passagem do Ano" oder Übergang des Jahres.
Die Schwelle zum Tor des neuen Jahres.
Ein dunkles Tor und dahinter grenzenlose Nacht.
Und die Schwelle schimmerte.

Die Wellen kamen aus dem schwärzesten Dunkel angerollt, unaufhörlich, gewaltig, aber nicht wild, sondern eher beruhigend wie ein gewaltiges Atmen. Ein Auto auf dem Dünenkamm leuchtete mit den Scheinwerfern über das Wasser hinweg in die Ferne. Da sah man die weißen Schaumkronen blendend leuchten. Aber die dunkle Weite konnte das Licht nicht durchdringen.

Zwei Frauen mit langen schwarzen Haaren – die eine trug einen bodenlangen weißen Mantel oder Umhang – hatten am Strand ein Feuer entfacht. Nur im Schein der Flammen konnte man etwas erkennen, und der weiße Mantel leuchtete in der Dunkelheit.  Zu den beiden Frauen kamen nach und nach andere Personen hinzu. Sie standen ernst um das Feuer herum und murmelten leise, sie hielten Gläser in der Hand. Ich meinte erst, es seien Kerzen, aber sie zündeten die Kerzen nicht an.

Als es Mitternacht war und in der Ferne Feuerwerkskörper explodierten, gingen die Leute näher ans Wasser. Und die beiden Frauen – oder war es nur eine, die von der anderen begleitet und zurückgeholt wurde? – in weißen Hemden gingen ins Wasser. Sie durchquerten die ankommenden Wellen und schritten wirklich ins Wasser hinein. Die Langsamkeit der Bewegungen und die Schweigsamkeit der Personen gaben dem Geschehen etwas Geheimnisvolles, Rituelles. Und das Meer rauschte.

Sand, Meer und Sternenhimmel.
Nur dieser Sandstrand, der Ozean und der sternenklare Himmel.

Natürlich werde ich wieder nichts erfahren über das, was ich da sah. Das bleibt unerklärlich und mystisch.

Unsere Wünsche und Fragen und unser Dank sind aber mit den Wellen davongetragen worden von der schimmernden Schwelle durch das dunkle Tor in den weiten Raum.

2 Antworten

  1. Katharina schreibt:

    Das ist wirklich lyrisch !

  2. Volkmar schreibt:

    Georg Trakl fällt mir dazu ein, aus meinem verschneiten Norden, besonders die dritte Strophe. Nur eine Assoziation?

    Wenn der Schnee ans Fenster fällt

    Wenn der Schnee ans Fenster fällt,
    lang die Abendglocke läutet,
    vielen ist der Tisch bereitet
    und das Haus ist wohlbestellt.

    Mancher auf der Wanderschaft
    kommt ans Tor auf dunklen Pfaden.
    Golden blüht der Baum der Gnaden
    aus der Erde kühlem Saft.

    Wanderer tritt still herein;
    Schmerz versteinerte die Schwelle.
    Da erglänzt in reiner Helle
    auf dem Tische Brot und Wein.

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