Vertretung

Verfasst am: 9. September 2007 von Barbara 1 Kommentar

9.9.2007
Vertretung

Am letzten Freitag warteten wir mal wieder stundenlang vor der Kirche auf den Chorleiter, immerhin 9 fröhliche Chorsänger, wenn auch manche etwas verschlafen wirkten. Die Maisernte ist gerade im Gange, es ist sehr heiß, tagsüber sind 42 Grad. Aber abends wacht man wieder auf und geht über die stillen Straßen und unter dem sternklaren Himmel zur Chorprobe, die nun schon zum wiederholten Male nicht statfindet.
Nein, abgesagt hat der Organist nicht, nein, keiner weiß, ob er kommt oder nicht. Wie sie das sagen: Ninguem save nada – niemand weiß nichts.
Wir sitzen auf den Stufen der Kirchentreppe und palavern auf der stillen Dorfstraße. Gegenüber versammeln sich die Jugendlichen mit ihren tollen Autos, einer nach dem anderen kommt angefahren, steigt aus, voller Tatendrang und ohne Ziel und stellt sich dar. Wenn jetzt einer sagt: Komm, wir reißen ein Haus ein, dann würde das sicher so geschehen. Und hinterher sagen sie immer: "Es hat sich so ergeben."

Ich beobachte die Jungs und ihre tollenn neuen Autos, ohne die sie sich sicher wertlos vorkommen.

Unser Chorleiter erscheint nicht. Da er nie die Gründe angibt und irgendwie immer schnell gekränkt ist, ohne dass wir das verstehen, müssen wir es so hinnehmen. Aber dann ruft Rogerio doch an: "Kommst du zur Chorprobe?", fragt er und lacht und wiederholt die Antworten: "Ah, so, ein wenig verspätet (ein wenig sind 35 Minuten), du musst also erst duschen und dann zur Nacht essen, ja, wir warten. Hier ist jemand mit der Gitarre, den du hierher bestellt hast…. Gut, wir warten."

Hagen sagt, wir könnten doch "a capella" singen.
Sie lachen alle erleichtert und sagen: "Ja, lasst uns in die Kapelle gehen und singen, singen wir in der Capela!"
Der Gitarrist hat ein größeres Repertoire, um einen Gottesdienst zu begleiten. Wir singen unsere Schlager: das Eingangslied, das Halleluja, Vaterunser, Lied zur Kollekta (ofertorio), Santo und Cordeiro, Lied beim Abendmahl und Final. Da haben wir einige Hits gut drauf. Die Gitarre singen wir glatt an die Wand. Doch ein paar Akkorde dringen gut durch und sie passen gut in die dunkle stille Kirche.

Der Chorleiter kam natürlich nicht.

Wir sind eine arme kleine Schar, denn der Padre ist noch immer krank. Er ist zwar auf dem Weg der Genesung, kann aber noch nicht die Messe durchführen. Stattdessen kommen verschiedene Vertreter, mexikanische Nonnen, spanische Priester, Besuch aus Venezuela oder Brasilien.

Heue morgen kam allerdings zu unserer großen Überraschung nicht unser Freitagabend-Gitarrist, sondern der Chorleiter höchstpersönlich, als sei nichts gewesen. Na gut, sie nehmen es hier, wie es kommt.

Dann ging die Sakristei-Türe auf und im apfelgrünen Brokat erschien der "Schwarze aus dem Morgenland". Da staunten wir alle wie die Hirten in der Heiligen Nacht, die das Erscheinen des Schwarzen Königs kommentieren: "Da ist ja auch ein Schwarzer dabei."

Der Priester stellte sich sogar vor, er komme aus Angola und sei dort für den Tourismus zuständig. Er sprach ein vorzügliches Portugiesisch und hatte eine sehr angenehme Stimme, er bewegte sich sehr sicher und vornehm und zelebrierte sehr souverän. Er predigte über Luk 14,25, über die Nachfolge, und ich verstand (endlich einmal) jedes Wort. Ich musste nur ständig überlegen,  wie meine Brüder und Schwestern das wohl aufnehmen, da sie sich als Kolonialherren doch eigentlich immer ein wenig erhaben fühlen über die Afrikaner. Sie dünken sich besser. Und es war ganz offensichtlich, dass dieser Vertretungspadre uns allen überlegen war.
Ich versuchte hinterher dem Gerede der Frauen zu entnehmen, was sie über den Auftritt dieser Vertretung so äußerten, verstand aber nicht viel. Nur eine Frau, die als einzige – eben auch als Vertretung – ihrer großen Familie gekommen war, redete etwas heftig darüber, dass Portugal nun schon auf Missionare aus ihren ehemaligen Missionsgebieten angewiesen ist. Und die anderen nickten ernst und vielsagend.

Gut, dass sie das nun auch in unserem Dorf gemerkt haben.

Eine Antwort

  1. volkmar schreibt:

    Der Chorleiter scheint ein typischer katholischer Romane zu sein. Ich erlebe diese Typen oft in Frankreich.

    Man sagt nicht Ja und nicht nein, lässt die Sachen in der Schwebe, trifft keine Entscheidung, zieht keine Konsequenz. Dadurch wird man nicht unhöflich, – wohl die schlimmste Sünde im romanischen Kulturkreis -, man wird nicht undiplomatisch.

    Erst der Deutsche, der klare Verhältnisse fordert (Böser Telefonanruf: Entweder Sie kommen, oder wir stellen einen Neuen ein!), der die Dinge beim Namen nennt, ist der Buhmann.

    Der Papst, der jetzt wieder uns Nicht-Römischen das Kirchesein absprach, löste bei allen Katholiken, die ich kenne, tiefe Beschämung und gesenkte Köpfe aus. Eine befreundete Professorin hat sich persönlich bei mir für den Papst entschuldigt. Aber keiner stellt einen schriftlichen Antrag beim Bischof, der nach Rom weitergegeben wird.

    Man meckert über den schwarzen Priester aus den Kolonien, lebt aber mit seinem "Unbehagen". Und lebt ganz gut. Irgendwann löst sich alles in Wohlgefallen auf. Oder römisch-katholisch  ausgedrückt: Man lässt es wachsen. Was sich von alleine durchsetzt, wird dann irgendwann zur Kenntnis genommen.

    Auch eine Art zu leben! Meine nicht.

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