Wie Portugiesen singen

Verfasst am: 29. Januar 2007 von Barbara Keine Kommentare

Wie Portugiesen singen

Wie Portugiesen singen!
Ja, sie singen viel, und  w i e  sie singen können!

Ich meine jetzt nicht die herzzerreißenden Amalia-Rodrigues-Imitate, und ich meine nicht die männlichen Fadistas, die in den Lissabonner Kneipen stehen, ihre Daumen hinter die Hosenträger geklemmt oder die Fäuste in die Hosentaschen gestemmt, dass man denkt, gleich springen alle Knöpfe ab und zerreißen alle Reißverschlüsse. Nein, die meine ich nicht, von denen Harry Rowohlt sagt, es sei öde, ihr Lied von der weißen Taube zu hören, die übers Meer fliegt und fliegt und fliegt, aber er meinte ja wohl Julio Iglesias mit seiner dahinschmelzenden und schnulzenden „La Paloma Blanca“, die schon Jahrhunderte übers weite Meer fliegt wie die Russische Besatzung, die 40 Jahre in der DDR herumkurvte und den Ausweg nicht fand. Ach, Harry Rowohlt kennt von Portugal ja nur die Klischees wie alle Touristen. Die meine ich nicht.

Ich meine auch nicht die jungen Sänger und Sängerinnen, die sich ständig im Fernsehen und auf den Bühnen produzieren, denn auch “Portugal sucht den Superstar“, und jeder denkt, er sei es, und träumt vom großen Geld und jault ins Mikrofon. Sie sehen alle gleich aus, singen alle englisch und haben denselben Sound – überall auf der Welt. Die meine ich auch nicht, diese Möchtegern-Superstars.

Ich meine die Leute hier um mich herum.
Wie  d i e  singen!
Sowas von Begeisterung und Kraft und Herzenslust.
Echt stark. Portugiesisches Singen ist etwas Besonderes. Ist richtig toll und mitreißend.

Dabei können sie fast alle keine Noten. Weswegen unser Chorleiter jede Woche ein halbes Stündchen Unterricht vor der Übstunde für 4stimmige Chorsätze gibt und uns auf einer Tafel einige Dinge aus der Musiklehre erklärt, z.B. den Wert von Noten und Pausen. Da kommen sie ganz verschämt an, so ungefähr 40 Sänger, Sopran, Alt, Tenor, Bass („Wir sind ja schon alte Leute und können nicht mehr viel lernen“, und es ist abends 22 Uhr, und sie haben den ganzen Tag auf dem Feld gearbeitet an der frischen Luft. Fast fallen ihnen die Augen zu – und manchem das Gebiss herunter.), aber sie hören aufmerksam zu und klatschen den Takt und freuen sich, mit so einer vergnügten Gruppe ein bisschen harmlosen Spaß zu haben über „semibreve, corcheia, minimo“ und wie das alles heißt, und es geht ja vorbei, und danach singen sie, dass die Heide wackelt. Am liebsten irgendwelche spanischen frechen Liebeslieder, denn Spanisch können fast alle hier im Dorf, sie waren ja alle im Ausland, in Venezuela, sind dort geboren oder haben dort gearbeitet.

Ja, dass man mit solcher Lust und Lautstärke singen kann! Nachts um 23 Uhr.

Der Chorleiter singt uns die vierstimmigen Sätze und Lieder vor, jede Stimme extra, und  sagt beschwörend hinter jeder Zeile: „Es ist ganz einfach!“, und wir singen machtvoll hinterher.  Besonders beliebt sind alle diese Schleifen, die man so richtig schön ziiiiiieeeeeehen kann. Singen ist schön.

Also, diesen Gesang meine ich, auch den Chorgesang, die kirchlichen Choräle, die Sonntag für Sonntag in der Messe gesungen werden. Die werden hier so ganz un-eitel gesungen, wirklich nur für den lieben Gott und nicht, um irgendwie und irgendwem zu gefallen. Der Chor sitzt vorne in den ersten drei Bänken. Schräg vor ihm steht das Harmonium, an dem der Chorleiter mit Blick auf den Padre und Blick auf die Gemeinde die ersten Töne anstimmt. (Manchmal kommt er auch zu spät und stimmt gar nicht an und trotzdem stimmt es dann.)  Also, die Chorsänger sehen nicht, wer hinter ihnen sitzt, und sie fühlen sich gar nicht kontrolliert und schauen nur hoch auf das Kreuz mit dem Heiland und auf den Altar und sie singen aus voller Kehle, weil es ihnen so ums Herz ist und weil es so ans Herz geht. Nicht so wie manche Chorgruppen, die sich vorne aufbauen und demonstrieren müssen und dabei denken müssen, ob die Krawatte und die Frisur sitzt und ob man vor den kritischen Augen der Nachbarinnen bestehen kann, wenn man schon wieder dieselbe Jacke trägt und eine Laufmasche im Strumpf und einen Pickel im Gesicht hat.  Soli Deo Gloria zu singen, ist wunderbar. Und so geschieht es hier.

Gefallen hat mir aber auch der Chorgesang beim Chortreffen der „Janeiras“ kurz nach Neujahr im Algarve. Da standen bei diesem alljährlichen Wettbewerb mehrere Gruppen auf der Bühne des Kulturpalastes in Sao Bras de Alportel und gaben ihr Bestes, begleitet von Kastagnettengeklapper und Akkordeonmusik. Der Saal war brechend voll, und als wir mit Alo und Klaus ankamen, gab es keinen Platz mehr. Die Luft war zum Schneiden.  Und alle saßen ganz still und unbewegt, obwohl einem die fröhliche volkstümliche Musik so richtig in die Glieder fuhr. Die Hunderte von Zuschauern rührten sich nicht, saßen ganz ernst und ergriffen da und lauschten, gaben aber begeisterten Applaus.
Was sangen die Frauen? Sie sangen von der täglichen Arbeit und Mühe, vom Fischfang und vom Essen, ein paar Männer begleiteten den Gesang mit ihren Kastagnetten, und der kleine dicke Akkordeonspieler holte die herrlichsten Seufzer und Wehklagen aus seiner Zieh-Harmonika, er machte die Bewegungen mit seinem ganzen Körper mit, ging in die Knie, verbeugte sich bis auf den Boden, schwankte und zitterte lustvoll  und konkurrierte dabei lachend außerdem mit einem zweiten jüngeren Musiker, ohne dem auch nur eine Chance zu geben.

Und genau so selbstbewusst trat auch der alte Fadista auf, ein hagerer alter Mann mit Hut und Sonnenbrille. Er stand ganz unbewegt und ernst da, sang seine Neujahrswünsche, sang von seiner schönen Heimat und von einer noch schöneren Zukunft, nahm unbewegt den Applaus entgegen und Hut und Sonnenbrille nicht ab.
Er sang aber sehr schön.

Im Gegensatz zu seinen 3 Nachfolgern, die wohl nur zur Dekoration mitgekommen war, um die kreischenden Fischfrauen zu begleiten. Diese drei starrten auf die Liederblätter, als hätten sie nie mitgeübt und sähen das alles zum ersten Mal, machten auch den Mund nicht auf und standen trotzdem ganz stolz und ihrer Männlichkeit bewusst  dort oben auf der Bühne.

Und das Publikum klatschte unverändert begeistert Beifall.

Wenn ich vor Atemnot in dem stickigen Saal nicht fast ohnmächtig geworden wäre, hätte ich zu gerne weiter verfolgt, wie so ganz anders Portugiesen singen, was das für Traditionen sind, warum sie diese Wettbewerbe pflegen, was sie für Texte und Melodien haben, was für eigenartige Stimmen und Darbietungsweisen.

Ja, das würde ich gerne beschreiben können, wie Portugiesen singen.

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