Silvesternacht 2006

Verfasst am: 1. Januar 2007 von Barbara 2 Kommentare

Lieber Claudio,
am Morgen dieses  ersten Januartages wünsche ich dir  "ein Neues Jahr" , das ist eine so tolle alte überlieferte Formulierung, dass ich darüber nach vielen Jahren immer noch lächeln muss. Steckt doch alles drin…

Wir standen in der Nacht am Strand – wie immer, es war eine zauberhafte Atmosphäre. Der Mond schien hell, es war fast Vollmond, und beleuchtete den Sand. Als wir die Dünen hoch stapften, war es, als gehe man durch Schnee. Mir fällt bei diesem rieselnden rinnenden Sand immer  Nelly Sachs ein: "Füße im Gebet des Sandes, der niemals Amen sagen kann, denn er muss von der Flosse in den Flügel und weiter".

Das Gebet des Sandes, das Murmeln des Wassers.

Es war eine sehr milde Nacht, beinahe warm. Am Strand saß eine große Familie um ein Feuer, sie riefen sich auf Französisch ein paar Worte zu. Die kleinen Kinder purzelten da im Sand herum, Frauen saßen auf irgendwelchen Kisten,  die älteren Männer standen im Hintergrund, drei junge Männer jonglierten mit brennenden Fackeln, drehten leuchtende Stäbe wie Feuerräder in den Händen und wirbelten Flammen an Schnüren um ihre Körper. Das geschah ganz leise und freundlich, so als übe dort eine Artistenfamilie oder vertreibe sich die Zeit am Lagerfeuer mit Kunststücken und "feurigen" Bewegungen.

Der Atlantik war sehr friedlich, obwohl gerade Preia-Mar, also Flut war, (Preia-Mar kommt von lat. plena-mare.) Wenn die Wellen heranrollten, spiegelte sich der Mond in den Wellenkämmen, das blitzte und funkelte, als tanzten und flitzten dort Silberfische hin und her.

Ein fantastisches Feuerwerk und Lichterspiel.  

Dann kippten die Wellen um und kamen mit blendend weißem Schaum den Strand heraufgekrochen, immer näher, immer näher.
Und plötzlich entdeckten wir im Sand vor uns eine "Macumba" oder einen Geschenk- oder Opfertisch  mit Kerzen, Blumen und Früchten. Ein kleines Boot wie aus einer Melone geschnitzt lag da mit Orangen beladen, und die Wellen leckten gierig nach dieser Beute. Das hatten wir schon so lange nicht mehr beobachtet und enttäuscht gedacht, der Strand, "unser Strand"  habe gar keine Geheimnisse mehr und seine wirkliche Schönheit verloren.
Plötzlich war aber alles so geheimnisvoll und verzaubert wie in früheren Nächten, man hörte nur das Rauschen des Ozeans, die gedämpften Stimmen und eine Sprache, die für diesen Strand doch eigentlich fremd war.
Feuer, Wasser, Erde, Luft –
eine elementare Welt, die ganze Welt mit Meer und Mond, mit Licht und Tanz und Bewegung, und darin fremde Menschen, vor denen man keine Angst zu haben brauchte, weil nichts Bedrohliches von ihnen ausging. Genau so wenig wie von den Kerzen und Früchten, die irgend jemand dort verschenkt hatte – "Wirf dein Brot hin über das Wasser und du wirst es finden nach langer Zeit." (Pred.11,1) Es war tatsächlich wiedergekehrt.

Als wir 30 Minuten später ins Dorf zurückgekehrten, war dort alles dunkel und still, wie ausgestorben, wie im Schlaf lag das Dorf da, kein einziger Böllerschuss war zu hören, kein Licht war zu sehen, kein Haus erleuchtet, alle Türen und Fenster verschlossen, nur im Stall von Belem auf dem Platz vor der Krippe leuchtete eine Lampe. Aber die Krippe war leer.

2 Antworten

  1. CuC.Lemme schreibt:

    Sehr schön. Für uns ist es ein bißchen so, als wären wir dabei gewesen. Danke!

  2. volkmar schreibt:

    Die Bibelstelle aus dem Prediger ist ja besonders interessant: "Laß dein Brot über das Wasser fahren; denn du wirst es finden nach langer Zeit."
    Es gibt ein armenisches Sprichwort: "Tue Gutes und wirf es ins Wasser." Ich habe es immer so verstanden, dass man Gutes tun und dann vergessen soll. Der Sinn ist offensichtlich noch tiefer.
    Der Sinn ist wahrscheinlich wie hier bein Kohelet: Das Gute, das du tust, verschwende es. Es wird zu anderen Menschen kommen, und irgendwann, auf ungeahnte Weise, wird man dir wieder Gutes erweisen. – Es wird irgendwann zurückkehren.
    Oder das andere Wort: Liebe ist das (einzige) Kapital, das sich vermehrt, wenn man es weggibt.

    Eine schöne Betrachtung zum Jahresbeginn!

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