Wie Portugiesen gestikulieren

Verfasst am: 29. Dezember 2006 von Barbara 2 Kommentare

Wir fuhren auf der Dorfstraße an der Nachbarin vorbei, die in ein lebhaftes Gespräch mit Dona Amalia vertieft war. Lebhaft, weil sie mit den Armen fuchtelte und hin und her hüpfte, um die verschiedenen Standorte der Personen in ihrem Bericht zu verdeutlichen. Sie hatte die krumme kleine Sichel zum Grasschneiden über Schulter und Nacken gelegt, typisch für sie. So blieben beide Hände frei, um die Geschichte mit munteren Gesten zu untermalen. In der Geschichte musste bestimmt – das konnte ich erahnen – ein alter Mann vorkommen, einer, der im Auto saß vielleicht, und eine Frau, die mühsam ins Auto kletterte und wieder hurtig hinausstieg, weil sie mit erhobenen Händen kundtat: Sie musste etwas vergessen haben.

Das alles konnte man gut aus den Bewegungen herauslesen. Es sind Marias typische Bewegungen, so sieht sie immer aus und so gestikuliert sie immer, wenn sie ihre Cousine nachmacht, die mühsam in den Bus einsteigt, oder ihren Cousin, den sie mit dem Auto in der Stadt getroffen haben mochte.

Na, ich würde die Geschichte bestimmt noch hören, denn sie machte eine ganz typische Bewegung, als wir langsam an ihr vorbeifuhren: Sie nahm ihre Sichel in die Hand und winkte damit freundlich-hoheitsvoll-befehlend in die Richtung, wo unser Haus steht, aber sie unterbrach dabei ihre pantomimisch reiche Unterhaltung mit Dona Amalia nicht eine Sekunde lang, auch nicht mit Blicken, schon gar nicht im Fluss der Rede.

"Was meint sie? Sollen wir schon mal vorausfahren? Kommt sie hinterher? Oder heißt das: Los, fahrt weiter!  Ich habe hier noch zu tun?"
"Es heißt alles. Wir sollen vorbeifahren und sie nicht unterbrechen, wir sollen schon mal vorausfahren, sie kommt gleich hinterher, im Augenblick stören wir nur, aber sie wird uns gleich das soeben erzählte Abenteuer voll Begeisterung wiederholen, wir sollen uns schon mal darauf freuen und gespannt sein."
"Und die Sichel? Warum die Sichel? Warum winkt sie mit der wie der Sensenmann?"
"Nein, nicht Sensenmann,nicht doch! Also, die Sichel ist ein wichtiges Symbol ihrer Arbeitsamkeit und ihres Fleißes. Sie ist ja nur mal kurz unterwegs, um Gras für die Tiere zu schneiden, sie ist ja keine Tratschtante, sondern immer fleißig und auf den Beinen, das soll jeder sehen. Mit diesem Requisit ist der Auftritt perfekt, nur mit diesem Emblem sozusagen."

Zehn Minuten später kommt dann die Geschichte ins Haus. Tatsächlich, sie war mit der Prima in der Stadt, hat den Bus angehalten, ist dann eingestiegen, aber nach 2 Minuten unter großem Lamento wieder ausgestiegen, weil die Plastiktüte mit sonst was drin – vergessen! – noch an der Haltestelle stand. Ai, nossa Senhora.
Dieselben Bewegungen, dieselben Gesten.

Ich liebe diese typischen Gesten. Keiner auf der Welt  macht den Frauen hier im Dorf diese unnachahmlichen (daher das Wort) herrlichen Bewegungen nach.
Wenn sie zum Beispiel die Schulter ein wenig hochziehen und bedauernd den Kopf neigen und einen so entschuldigend und um Verständnis bittend ansehen…

Es kommt vor, dass wir irgendwo ferne von Portugal sind, und plötzlich macht jemand irgend eine typische Handbewegung, und die Sehnsucht oder das Heimweh nach Portugal schießt wie ein Pfeil durch mich  -
"Mach das noch mal!"  
"Was soll ich machen?"
"Na diese Bewegung, diese Handbewegung… Woher hast du das? "
Wenn so etwas passiert, dann ist höchste Alarmstufe. Diese Injektion (oder das süße Pfeilgift) wirkt sofort. Dann muss ich sofort meine Sachen packen und wieder heimfahren, um nicht noch kränker zu werden.

Oder jemand verspricht mir, auch kein Sterbenswörtchen zu verraten von dem, was wir da eben besprochen haben: "Nein, ich verrate nichts", sagt Lotte und legt den Zeigefinger senkrecht auf den Mund. Und ich denke, das ist doch nicht richtig, das muss doch anders aussehen. Also, meine Nachbarin Maria bedeutet mir oft, dass sie bei dieser oder jener brisanten Sache wie ein Grab schweigen wird: "Kein Wort kommt über meine Lippen, das schwöre ich dir."  Dann wischt sie mit der rechten Hand horizontal über die zusammen gepressten Lippen und schleudert feindliche Blicke.

Ist ein Mund besser verschlossen, wenn er senkrecht oder wenn er waagerecht zugeklebt wird? ( Wenn der Zeigefinger an nur einer Stelle auf dem Mund liegt, kann man übrigens noch viel verraten und gut zischeln, ich habe es probiert. Portugiesisch vertikal verschlossene Lippen bleiben aber echt zugeklebt.)

Das Kapitel über portugiesische Gestik fehlt noch in den Reiseführern und Beschreibungen. Es ist ein hochinteressantes Thema, sicher nicht nur für Ethnologen oder Schauspieler. Aber ich werde es in diesem Jahr auch nicht mehr schreiben, schade. Machen wir also für heute einen waagerechten Strich quer über den Laptop_______________________________________________________

2 Antworten

  1. arabella schreibt:

    Portugiesische Gesten – ein Thema, das ich liebe! Wie vielen von uns ist es nicht schon so gegangen, dass wir glauben, eine gebückte Alte winke uns zu (denn das tut sie nach unserem Dafürhalten), dabei meint sie, Komm mal her, ich will dir was sagen
    Oder die Holzauge sei wachsam Geste: das bedeutungsvoll nach unten gezogene Unterlid.
    oder das mit verdrehten Augen am Ohrläppchenziehen beduetet leeeecker!

  2. volkmar schreibt:

    Erinnert mich stark an jüdische Witze, die das Gestikulieren auf die Schippe nehmen.
    Hier ein auf portugiesische Verhältnisse übertragener Witz: Zwei Schiffbrüchige, beide Nichtschwimmer, kommen wie durch ein Wunder an Land.
    Man fragt sie, wie ihre Rettung denn möglich gewesen sei.
    Antwort: Ach, wir haben uns nur unterhalten.

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