Freudlose Dörfer

Verfasst am: 16. November 2006 von Barbara 1 Kommentar

"Freudlose Dörfer"  
Wenn ein Dichter über Portugal schreibt – also, wenn ein richtiger Dichter Portugal beschreibt, dann ist das wie Musik und wie ein Lied und wie das Meer und der Wind und der Regen auf den Maisblättern.  Dann ist jeder Satz kostbar wie ein geschliffener Stein oder wie ein vom Bildhauer behauener Stein, aus dem der Künstler das Bild hervorholte, das er darin sah und das alle anderen nicht sahen.

So ein Buch habe ich an dem Portugalabend in Schierstein (am 8.11.2006) von Frau Hewel geschenkt bekommen, nachdem ich 2 Stunden lang erzählen und erzählen durfte von Portugal, über Portugal. …Portugal, Portugal…
Reinold Schneider schrieb das Buch "Iberisches Erbe" unter dem Eindruck des furchtbaren Machtkampfes Hitlers. Er ahnte das Ende und den Untergang Deutschlands, dachte wahrscheinlich daran und schrieb über 200 Jahre Machtkampf auf der Iberischen Halbinsel und über die Eroberungen der "Neuen Welt". Es sind die Jahre 1469 (Ferdinand von Aragon heiratet Isabella von Kastilien) bis 1648. Das Buch wurde in der Schweiz gedruckt und 1949 veröffentlicht. Ich nahm es in die Hand und begann zu lesen und war betroffen von den Formulierungen und Einsichten und Urteilen, vor allem aber von der schönen durchgeistigten Dichtersprache.
Da heißt es über die Portugiesen (S.22):
"…Dieses Volk ist auf der Erde nicht eigentlich zu Hause, als habe es keine Wurzeln. Immerwährende Enttäuschung breitet die Trauer aus, die über dem ganzen Lande liegt, den freudlosen Dörfern zwischen kahlen Steinen und halbdürren Äckern, den monotonen Olivenplantagen, trägen Flüssen und toten Gebirgen, sie zittert in allen Gesängen und in den melancholischen Glockenspielen, die über den schlafenden Dächern verhallen. Denn die Städte schlafen trotz dem grellen Lärm in den Gassen, den schreienden Farben, die aus allen Fenstern und Winkeln wehen;…"

Ich denke an mein Dorf, das kein freudloses Dorf ist. Und ich denke, dieser Reinhold Schneider war bestimmt nicht in der fruchtbaren Bairrada, an der Weinstraße und der Straße der Spanferkel in der Bairrada, er war bestimmt nicht auf einer der Romarias und schon gar nicht bei einer Weinernte oder Maisernte. Und er war bestimmt nicht in meinem Dorf, zu dem alle diese Wörter nicht passen, es ist nicht freudlos, kahl, halbdürr, monoton, träge, tot, melancholisch. Natürlich war er nicht da, das Dorf ist gar nicht auf der Landkarte eingezeichnet. Außer "unserem netten Konsul" aus Porto und außer dem Bischof von Aveiro war sowieso noch kein Prominenter da – es kann ja noch kommen, bestimmt kommt mal der Prinz und möchte das schlummernde freudlose Dornröschen wach küssen, und dann wird er feststellen, dass die Kleine (aldeia) sehr wach und munter ist und seines Kusses nicht bedarf. Denn ein Dorf ist nicht so freudlos wie eine Großstadt z.B. am Sonntagmorgen, weil im Dorf das wirkliche und echte Leben spielt, besonders am Sonntagmorgen. Und zudem sind seit Schneiders Buch viele Jahre vergangen, der Anschluss an die EU hat ganz Portugal zu einem neuen Leben erweckt, alles hat sich rasant verändert.

Nein, freudlos sind die Dörfer nicht zu nennen.
Es sei denn, "freudlos" meint das Fehlen eines Psychologen wie Freud, Sigmund.  Aber der mag gerne fehlen, denn den braucht man hier wirklich am allerwenigsten.

Eine Antwort

  1. arabella schreibt:

    oh wie wahr wie wahr. Die alegria (=Freude) die nicht nur in deinem Dorf nicht nur sonntags spürbar ist, drückt sich auch tagtäglich in dem für teutonische Verhältnisse eher infantilem typisch portugiesischen Humor aus.
    Wie beneidenswert schön, sich an Kindlich-Kindischem erfreuen zu können!

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