Gespräche im Maisfeld

Verfasst am: 27. August 2006 von Barbara 1 Kommentar

Messerscharfe Gespräche im Maisfeld

Maria steht mit der scharfen Sichel zwischen ihren Kürbissen und unterhält sich mit mir, nachdem sie mir mit der Sichel in der Hand die Erlaubnis erteilt hat, so viel Maisbarthaare zu sammeln, wie ich nur kann. Es steht alles zu meiner Verfügung, ich kann ernten, wo ich nicht gesät habe, und das ohne Ende und Grenzen (sie zeigt mit der Sichel bis zum fernen Horizont), was immer ich will. Aber ich will ja nur eine Handvoll Barba do milho für Tee sammeln. Ich will ja gar nicht das ganze Feld abernten. Das machen die Maschinen, die morgen kommen, oder übermorgen. Die Maiskolben müssen jetzt geerntet werden.
Vorgestern hat Maria den Zugang zum Feld geräumt, damit der Trecker nun nahe heranfahren und die Maiskolben brechen kann. Der Zugang zum riesigen Maisfeld ist das große Kürbisfeld, wo die dickbäuchigen Abóboras wie fette Körper herumliegen, sie haben so etwas unanständig Träges und Fleischiges an sich. Maria fetzt mit ihrer Sichel die Kürbisranken fort, sie legt die feisten Kolosse frei, sie haut ein paar Stauden um und ebnet die Bahn. Diese kleine scharfe Sichel ist flink und kräftig und "besser denn ein zweischneidig Schwert".
Maria lobt ihren Tee, der alle inneren Krankheiten heilen kann, sie hat ihn schon immer getrunken, sie kauft keine Tabletten, sie trinkt nur Tee aus Maisbarthaaren, ohne Zucker wegen Diabetes, versteht sich.
"Die Welt ist so schlecht", sagt Maria und fetzt mit der Sichel ein Grasbüschel weg,"der Tee ist sehr gut, aber die Welt ist schlecht, früher war alles besser, nur der Tee bleibt immer gleich gut."
Sie seufzt, bückt sich und sagt: "Ai, Jesus", und nach einer Weile seufzt sie und sagt: "Ai, Dona Barbara:"
"Und überall ist Krieg", sagt sie, "die Menschen machen so viel Krieg. In Beirut ist ja so ein schrecklicher Krieg." Sie haut mit ihrer scharfen Klinge durch die Luft. "Ist Beirut eigentlich in deiner Nähe, da wo du wohnst?", fragt sie.

Ich würde ihr gerne erklären, dass jeder Krieg, wo immer er tobt, ganz nahe bei mir ist, in meinem Herzen, in meinen Gedanken, in meiner Erinnerung, in meinem Bewusstsein, dass ich ihn vergessen kann, dass ich traumatisiert bin, dass ich kriegsverletzt bin. Und Beirut ist wirklich da, wo ich lebe. Und Irak und Afghanistan und Israel und Palästina und jeder, jeder Streit. Und ich habe keine scharfe Sichel, um mich zu wehren und den Lauf der Dinge zu zerschneiden. Gib mir deine Waffe, Maria, wir rücken den Kriegmachern auf den Leib, wir rotten sie aus, mit Stumpf und Stiel wie dieses Unkraut, Katzenschwanzgras nennst du das, komm, hau es um.

"Nein", sage ich so ruhig wie möglich, aber meine Stimme zittert, "diese Kriegsschauplätze sind nicht in der Nachbarschaft von Deutschland, Gott sei Dank."
"Aber du wohnst doch ganz weit weg von hier?"
"Ja, ganz weit weg…"
Und sie sagt nach langem Seufzen und Sicheln: "Ai, Dona Barbara…"

Und ich sammle meine Maisbarthaare. Sie gucken aus den trockenen Blättern heraus, die den Kolben umgeben. Das, was herausschaut, ist von der Sonne hart und dunkel getrocknet und vom Regen verwaschen, aber die Fasern aus der Umhüllung sind weich und hell wie Seide.

Eine Antwort

  1. B. schreibt:

    Korrektur: Ich habe das Wörtchen "nie" vergessen. Es muss natürlich heißen: …"dass ich den Krieg nie vergessen kann".

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