Abrakadabra

Verfasst am: 3. August 2006 von Barbara Keine Kommentare

Neulich saß oder lag ich beim Zahnarzt auf dem himmelblauen Folterstuhl und der junge Spezialist machte sich an meinem Backenzahn zu schaffen, der mir ganz hinten versteckt in der endlosen Reihe meiner perlengleichen Zähne zu schaffen machte. Dieser junge Zahnarzt kommt aus der Universitätsstadt Coimbra einmal in der Woche ins Dorf und schaut nach dem Rechten. Von ihm aus gesehen war es aber mein linker Zahn.

In den Arztpraxen werden hier alle mit ihrem Vornamen angeredet. Also weder heißt es "Der Nächste bitte!" noch "Frau Seuffert". In Aveiro sagt man allerdings noch Senhor oder Dona davor, das ist städtische Vornehmheit und Distanziertheit. Hier aber ruft man nur den Vornamen, und ich finde, das klingt nett familiär und vertraut.

Um mit dem Bohrer tüchtig herumfuhrwerken zu können, forderte mich der Zahnarzt mehrmals leise auf, den Mund noch weiter aufzumachen (im Ruhrgebiet sagte der Zahnarzt zu den Kindern: "Machs Mündchen los!"), also er sagte sanft und leise: "Abre, machen Sie den Mund auf, ja, schön öffnen, ja, noch ein bisschen mehr, so ist es gut." Und weil ich über die seltsamen Laute nachdachte und immer wieder vergaß, den Mund aufzureißen, mumelte er immer wieder: "Abre, Barbara, abre."

Ich fand, das hört sich an wie "Abrakadabra".
Das ist eine richtig magische Beschwörungsformel, dachte ich.
Welch seltsames Wort – Abrakadabra. Woher kommt das? Was bedeutet das?

Das Etymologische Wörterbuch sagt, es sei ein altes, seit dem 3. Jahrhundert belegtes Wort, stamme aus dem Balkan und bedeute "Schaum und Rauch". Sicher hat es auch etwas mit dem Wort "Barbar = der Fremde" zu tun, denn die fremden nordeuropäischen Völker sprachen so fremd, so dunkel und rauh, eben barbarisch, dass es in den Ohren der Mittelmeervölker – damals bei der Völkerwanderung, aber auch heute noch bei den Touristen – wie Rabarber-rabarber-rabarber klang. Mit diesen Lauten macht man ja heute noch beim Theater das Volksgemurmel auf der Bühne. Man versteht nur noch Geraune und beschwörendes Murmeln.

Zum Beispiel ähnlich wie bei dem Wort Hokuspokus. Das ist eine Verballhornung der lateinischen Worte bei der Eucharistie. Der Priester hebt die Oblate hoch und spricht die lateinischen Einsetzungsworte "Hoc est corpus meus", und das Volk versteht eben nur das gemurmelte "Hocuspocus".

Jedenfalls lauschte ich andächtig dem Abrakadabra des portugiesichen Zahnarztes und fühlte mich sehr benommen, um nicht zu sagen verzaubert, was aber nur der Lokalanästhesie zuzuschreiben war.

"Abre, Barbara, abre. Abrakadabra."
"Simsalabim" summte der Bohrer.

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