Estaleiro Teatral

Verfasst am: 8. Juli 2006 von Barbara 2 Kommentare

Warum ich so gerne in den Estaleiro gehe

Es war die vorletzte Vorstellung. An einigen Abenden waren die Aufführungen kurzfristig abgesagt worden, weil die ganze Nation am Fernseher das Fußballspiel verfolgte. Jetzt drängten sich die Massen vor der Kasse. Viele junge Leute, leicht und salopp bekleidet, die Mädchen mit langen durchsichtigen Fludderröcken, die jungen Männer mit wirren langen Locken. Rauchend. Diese Studenten sehen immer ein bisschen wie Drogenabhängige aus, irgendwie unglaublich frei, aber verloren. Und die jungen Frauen haben eine zerfranste Designer-Schultertasche und bezahlen die Eintrittskarte.

Im Park war es schon dunkel. Die Vögel hoch oben in den Baumwipfeln flöteten und lärmten lauter als der Verkehr in den Straßen um den Park herum. In diesem Park duftet es immer so todbringend nach Jasmin, Engelstrompete, Lilien, Waldboden und Verwesung. Und dazu der süßliche Zigarettengeruch und das Parfüm und der Duft der schwarzen Haare. Düfte, Geräusche, der Anblick der schönen jungen Menschen und die vielen Berührungen der Wartenden: "Con licença… Pardon… desculpa, darf ich mal vorbei, danke, Entschuldigung…" und flüchtige Begrüßungsküsse, magere Schultern, nackte braune Arme.

Die weinroten Bürostühle im ansteigenden Zuschauerraum waren wie bei einer Guckkastenbühne angeordnet. Die offene Bühne bestand aus mehreren Platten auf verschiedenen Ebenen, im Hintergrund war eine große Leinwand aufgespannt. Aus den Lautsprechern kam Möwengeschrei, Wasser rauschte und plätscherte, brandete, Wellengeräusch kehrte in rhythmischem Gleichklang wieder und wieder.

Ein nackter junger Mann stieg aus dem Meer hervor. Watzlaff.
Das war also der portugiesische "Vatslav" von Slawomir Mrozek.

Die Experimentierbühne des Theaters in Aveiro bringt hin und wieder ganz moderne und gewagte Stücke zur Aufführung, an der sich auch Teilnehmer der Theater-Workshops beteiligen. Welche Fülle von Begabungen und erstaunlichen Talenten. Lauter neue Gesichter, lauter mitreißende engagierte Spieler, deren Freude am Theater spürbar wird und sich überträgt.

Ich kann überhaupt nicht mehr das Rebhuhn aus meinen Gedanken verscheuchen, dieses verrückte kicksende hüpfende Huhn. Wo haben sie nur den Jüngling entdeckt, der da zu einem aufgeregten Huhn mutierte! Der spielte nicht, sondern der  w a r  ein Perdis-Rebhuhn.

Dieser Estaleiro Teatral zieht, lockt, zerrt den Zuschauer förmlich auf die Bühne, er geht in die Falle, verfängt sich im Netz und findet sich plötzlich verzaubert mitten im Spiel wieder. Und Mrozeks Parabel ist sowieso so angelegt, dass man mit seiner ganzen Fantasie dabei ist, mitdenkt, mitfühlt, mitlebt. Mit hundert anderen und doch ganz allein: Du bist gefragt, es ist deine Geschichte, die hier gespielt wird, du selbst spielst deine Geschichte, es geht um dich.

Sie – nein, sei ehrlich und sag: wir – wir saßen da mit leicht geneigten Köpfen, irgendwie entrückt und lächelnd, wagten kaum zu atmen, jagten mit, hüpften mit, tanzten mit über die Bühne in diesem "Land der Freiheit" und wollten doch fort von hier.

2 Antworten

  1. sonnenblume schreibt:

    stark! da hats dich aber so richtig gepackt! wunderschön. man nein ich möchte dabei gewesen sein!
    danke fürs (mit)teilen.

  2. Volkmar schreibt:

    Zitat: "und wollten doch fort von hier"

    "Und im Genuss verschmacht ich vor Begierde!"

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