Grüße aus dem Radio
Hier auf den Dörfern grassiert eine neue Seuche, ein Spielfieber – oder wie soll ich das nennen? Der Überträger dieses seltsamen Fiebers ist das – nun, vielleicht Kommunikationsvirus, aber ich muss wohl als Entdeckerin erst einen Namen dafür finden.
Die Krankheit wird begleitet durch eine hohe emotionale Erregung und kann stundenlang andauern. Sie bricht nach der Tasse Morgenkaffee aus und erfasst vor allem Rentner und ältere Menschen. Sie verläuft dergestalt, dass man gleich nach dem Aufstehen das Radio anschaltet und (in unserem Dorf) dem Sender San Miguel lauscht. Den findet man auf Kurzwelle 93,5. Er bringt den ganzen Tag traditionelle portugiesische Musik, Fados, Folklore und Tanzmelodien aus alten Zeiten. Zwischen den Melodien werden Geburtstagsglückwünsche und Grüße gesendet, Hörerwünsche erfüllt und Telefongespräche geführt. Und das hat meine Nachbarsleute wie ein Fieber ergriffen.
Schon seit Jahren wünschen sie sehnlichst, einmal über das Radio Grüße zu entbieten. "Stell dir mal vor, ich würde sagen, dass ich meine Freundin Barbara grüße", sagt Dona Matilda.
"Aber du kannst mir das doch auch so sagen, ich wohne doch hier nebenan, bin doch deine Nachbarin", gebe ich zu bedenken.
"Nein, denn dann wünsche ich mir ja noch ein Lied für dich."
Das ist natürlich was anderes!
"Ich weiß bloß nicht, wie man das macht", sagt sie bedauernd.
Tja, wie komme ich ins Radio?
Wie komme ich ins Fernsehen?
Große Frage: Wie werde ich Superstar?
Also, seit Jahren bemüht sie sich mit wahrer Leidenschaft und hat auch endlich die Telefonnummer herausgefunden und sitzt am Telefon und wählt und wählt, dass die Fingerkuppen glühen. Aber nicht nur sie wählt, nein, die Seuche grassiert hier, wie ich schon sagte. Alle älteren Frauen und Männer sitzen morgens am Telefon und wählen. Immer ist kein Durchkommen… Wenn es Zeit zum Mittagessen wird, übergibt die Hausfrau dem Mann das Geschäft mit dem Telefon. Der sitzt dann geduldig da und wählt und wählt, den Zettel mit den Grußbotschaften und Adressen in der schweißnassen Hand.
Es klappt nicht.
"Lass das bloß sein, das wird ein teurer Spaß!", sage ich.
Sie widersprechen: "Nein, nein, das kostet gar nichts."
"Doch, bei jedem Anruf verdient die Telefongesellschaft oder der Sender an euch", behaupte ich. (Ist doch so, oder?)
"Nein, nein, lass uns mal machen. Die Dona Soundso macht das auch, und die und die und der sind gestern zu hören gewesen, … ach, ich möchte auch mal im Radio sprechen, das wäre so eine Freude!"
"Warum geht ihr nicht hin und redet mit den Leuten, die ihr grüßen wollt? Das wäre doch eine noch größere Freude."
"Keine Zeit."
"Wie, keine Zeit? Ihr sitzt doch hier stundenlang am Telefon."
Ich weiß, ich bin ein Spielverderber.
Aber irgendwie finde ich das Spiel doof und unlogisch.
Und dann klappt es doch.
Eines Tages – nach Weihnachten – klappt es!
Gegen Mittag kommt der Nachbar und strahlt übers ganze Gesicht: "Heute sind wir durchgekommen! Wir haben Grüße für Barbara und Paschtore bestellt. Habt Ihr das gehört?"
Nein, haben wir leider nicht gehört, aber wir bedanken uns artig.
"Und welches Lied habt ihr uns singen lassen?"
"Euer Lieblingslied – Montanha azul."
Freude, Freude, – ich wusste zwar nicht, dass ich so ein schönes Lieblingslied habe, aber ganz vielen Dank, nun wissen doch alle, dass wir Freunde fürs Leben sind und haben es mal gehört. Danke, ihr Lieben! So ein Tag, so wunderschön wie heute, so ein Tag…. Schöner als Weihnachten.
Eine Woche später hatten sie wieder Glück und "kamen durch". Wir hörten die Stimme des Familienvaters auf der Heimfahrt im Auto. ""Das ist doch…?!"
Ja, er war es: Der Nachbar stellte sich vor und sagte, es gehe ihm gut und schöne Grüße an alle seine Freunde und besonders an eine Freundin seiner Frau, die hier gerade bei ihnen im Hause sei.
"Warum sagt er das durchs Telefon, wo sie doch neben ihm sitzt? Ich verstehe das nicht…"
Ich stieg vor dem Haus aus und ging zu den Nachbarn, um ihnen zu sagen, dass wir soeben ihre Grüße bekommen hätten.
Der Hausherr stand strahlend und triumphierend draußen und sonnte sich in seinem Erfolg. "Habt ihr es gehört?"
Ich wiederholte seine Radioworte, und er nickte: "Genau, Wort für Wort!"
"Also, vielen Dank." Und ich bedankte mich und dachte, sein Händedruck und das Küsschen rechts und links sind aber tausendmal schöner.
In der Küche saßen gemütlich die Dona Matilda und ihre Freundin Palmira, sie puhlten Bohnen aus und lachten und waren ganz fröhlich und zufrieden. "Hast du es gehört?", fragten sie, "wir haben den Chef ans Telefon geschickt, denn wir müssen ja arbeiten, und er hat es geschafft und hat Grüße ausgerichtet. Du hast es ja gehört!
Ist das nicht wunderbar?"
Ob ich das wohl verstehe, wenn ich Kommunikationswissenschaft studiere?
Oder wer erklärt mir mal, was da abläuft?