Von Recht und Gesetz auf der D

Verfasst am: 12. Januar 2006 von Barbara 2 Kommentare

Der alte fast blinde Senhor Antonio hat im Nachbardorf eingekauft. Er ist zu Fuß, sein altes Fahrrad schiebend, dort hingegangen, kaufte alles Notwendige ein, trank noch ein Tässchen Kaffee, hängte dann die vollen Plastiktüten an den Fahrradlenker und ging wieder nach Hause. Im Dorf schob er das Rad vorschriftsmäßig an der rechten Straßenseite neben sich her und freute sich, dass es so schön leicht und ein wenig bergab auf der neu geteerten Straße ging.

Wenige Meter vor seinem Haus kam ihm im BMW der Sohn der Nachbarin entgegen. Er hielt mitten auf der Straße an, als er Antonio sah, und rief ihn zu sich : "Olá, kommen Sie  mal her, ich muss mit Ihnen reden."

Antonio lenkte freundlich ein paar Schritte nach links zum Auto hin, umzu Manuel ans offene Autofenster zu treten.

In diesem Augenblick schoss hinter ihm ein Auto heran, schoss mit voller Kraft auf ihn zu und schleuderte das Fahrrad auf die Straße und den Alten zu Boden.

Als Antonio wieder zu sich kam, waren schon viele Leute aus dem Dorf versammelt und redeten und gestikulierten. Auch die Polizei – die zwei berühmten Polizisten aus meinem berühmten "Tod eines Padre", natürlich in anderer Formation, aber genauso  "Ein Fall für Zwei" – also, auch die Polizei war schon da.

Der alte Antonio lebte noch, hatte aber deutlich einen Schock und nickte nur wie betäubt zu allen Fragen, die man ihm stellte. Sein Fahrrad lag völlig verbogen und als Schrotthaufen am Straßenrand. Der junge Herr Manuel war aus seinem BMW gestiegen und wiederholte mehrmals: "Ich habe ihn zu mir herangewinkt, ja, ich habe viel zu sehr in der Mitte der Straße angehalten, da war kein Platz mehr zum Ausweichen, nein, Senhor Antonio fuhr überhaupt nicht, er schob ganz vorschriftsmäßig sein Fahhrad neben sich her. So glauben Sie mir doch!"

Die Unfallgegnerin war eine junge Frau aus der Kreisstadt. Sie hat einen Laden an der Kreuzung, wo die beiden Polizisten immer diensttuend herumstehen und ein wachsames Auge haben. Man kennt sich. Gleich neben ihrem Geschäft ist das Café, wo man sich ebenfalls kennt und auskennt. Die junge Frau also erzählte genau denselben Unfallhergang: Sie sei die Straße entlanggefahren, dann habe sie den BMW gesehen, der plötzlich auf der Straße, mitten auf der Straße!  gehalten habe, da sei kein Platz mehr zum Ausweichen gewesen, der alte Antonio sei von rechts gekommen und ihr genau vor das Auto gelaufen.

"Stimmt das so?", fragte der eine Polizist den Alten.
Der nickte. Er befühlte seine Beine: Nein, es schien nichts gebrochen zu sein. Sein Kopf tat weh, aber es war alles noch in Ordnung. Er sah sich nach den Plastiktüten um. Die hatten die Nachbarn fein ordentlich aufgelesen und an den Straßenrand gestellt. Da hatte er ja noch einmal Glück gehabt! Er rückte seine Brille zurück. Sie war noch heil. Seine Hände allerdings … sie waren sehr schmutzig und zerschunden. Antonio wischte sie an den Hosenbeinen ab.

"Sie können von Glück sagen!", meinte der Polizist.
Antonio nickte.
"Es hätte schlimmer werden können", sagte der Polizist.
Antonio nickte und versuchte ein Lächeln in Richtung junge Frau. Die stand mit dem anderen Polizist an ihrem Auto und unterhielt sich lebhaft, wobei sie ständig den Kopf nach hinten warf und eine Haarsträhne aus dem Gesicht wischte.

"Haben Sie sich denn nicht vergewissert, ob hinter Ihnen ein Auto kommt?", fragte der Polizist den alten Mann.
Der guckte ihn verständnislos an. "Hä?"
"Ich frage Sie: Als Sie auf das Auto von Herrn Manuel zugingen, haben Sie sich da umgedreht, um zu sehen, ob ein Auto hinter Ihnen kommt?", fragte der Polizist.
"Da kam kein Auto", stotterte der Alte.
"Aber Sie haben die Fahrbahn gewechselt, ohne den Verkehr zu beachten?"
"Da war kein Verkehr", sagte Antonio. "Manuels Auto stand mitten auf der Straße. Er hat mich herangewinkt. Da bin ich näher zu ihm gegangen." Er blickte hilfesuchend auf Manuel.
Der sagte: "Genau so war es. Dona Carmeninha kam plötzlich an. Sie fuhr sehr schnell. Es war kein Platz zum Ausweichen."

Der Polizist schaute missmutig auf seinen Notizblock. Dann hellte sich plötzlich sein Gesicht auf. Ihm kam ein wichtiger Gedanke. Er fragte: "Als Sie mit dem Fahrrad die Fahrbahn wechselten und zum Auto von Herrn Manuel fuhren, haben Sie da Zeichen gegeben?"
"Hä?", fragte der Alte.
"Haben Sie angezeigt, dass Sie die Fahrbahn wechseln?", wiederholte der Polizist.
"Wie denn? Ich verstehe nicht. Ich bin doch gar nicht gefahren. Ich habe mein Rad geschoben. Ich habe doch gar nicht die Fahrbahn gewechselt. Manuels Auto stand hier mitten auf der Straße, genau hier, in der Mitte."
"Also, Sie haben nicht angezeigt, das Sie links abbiegen?"
"Wie? …Links abbiegen? Wie denn anzeigen?", stammelte der Alte.
"Als Radfahrer müssen Sie den Arm ausstrecken und die Fahrtrichtung anzeigen, die Sie einschlagen werden", belehrte ihn der Polizist.
"Ich bin nicht gefahren", stotterte Antonio.
"Sie sind Verkehrsteilnehmer", sagte der Polizist. "Und als solcher müssen Sie bei Fahrbahnwechsel die Fahrtrichtung anzeigen, die Sie einzuschlagen gedenken."
"Einschlagen?", fragte Antonio verständnislos.
"Er meint, du hättest den linken Arm ausstrecken sollen, um zu zeigen, dass du zu mir kommst."
Der Alte schaute Manuel an, als höre er nicht recht.

Triumphierend ergriff der Polizist das Wort: "Also, Senhor Antonio, wie ich sehe, haben Sie sich als Verkehrsteilnehmer nicht richtig verhalten. Herr Manuel bestätigte soeben, dass Sie die Änderung der Fahrtrichtung nicht angezeigt haben. Insofern trifft Sie allein die Schuld an diesem Unfall. Für den Schaden an Ihrem Fahrrad sind Sie ganz allein verantwortlich. Die Unkosten für die polizeiliche Unfallaufnahme haben Sie zu tragen. Der Bescheid geht Ihnen in den nächsten Tagen zu."

Vorgestern tippelte der alte fast blinde Senhor Antonio zu Fuss zum Amtsgericht, um seine Strafe zu zahlen. Es sind 5-6 km bis zur Kreisstadt. Er musste sich beeilen, denn die Zahlungsfrist lief an diesem Tag ab.

"Er musste 200 Euros zahlen", sagte seine Frau. Sie war sehr empört über die Ungerechtigkeit. "Eigentlich hätten der junge Herr Manuel und die junge Dona Carmeninha sich an den Unkosten beteiligen können, weil mein Mann doch nun wirklich keine Schuld hat, aber sie ist zu schnell gefahren und Manuel hat mitten auf der Straße geparkt und kein Mensch im Dorf streckt den Arm aus und zeigt den Fahrbahnwechsel an, wenn er zum Nachbarhaus hinübergeht, um ein paar Worte zu wechseln", sagte sie. "Aber ich bin ja der Nossa Senhora so dankbar, weil sie ihn beschützt hat,  und ich bin so froh, dass ihm nichts weiter passiert ist. Er hätte ja auch tot sein können. Oder schwer verletzt. Gott sei Dank!"

Wir wollen jetzt mit Antonio den Satz einüben, den er beim nächsten Mal auf Portugiesisch und selbst, wenn er unter Schock steht, sagen soll, den wichtigsten Satz für alle Verkehrsteilnehmer oder Angeklagten: "Ich will erst mit meinem Anwalt sprechen."
"Und hören Sie, Herr Antonio, Sie dürfen nichts zugeben. Sie dürfen nicht nicken. Wenn Sie gleich hingehen und zahlen, ist das ein Schuldeingeständnis. Niemals nicken und nie ohne Ihren Anwalt. Verstehen Sie?"

Hoffentlich gibt es kein nächstes Mal!

2 Antworten

  1. Barbara schreibt:

    Die Überschrift sollte heißen:
    Von Recht und Gesetz auf der Dorfstraße

    (Das sprengte den vorgegebenen Rahmen!)

  2. Harry schreibt:

    Was für eine schöne Geschichte mit den trotteligen Polizisten und dem armen Senhor António. Ich sehe die Szene richtig vor mir an der Ecke vom Café. Wie aus Don Camillo und Peppone.
    Hier in Hamburg ist es halt wieder grauklat, gestern war es sonnigkalt, aber diese Wintersonne ist so weit weg und schwach… Ai Portugal… Irgendweann wirds wieder Frühling. :-) )))
    Harry

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