Krippenspiel 2005/ 2.

Verfasst am: 23. Dezember 2005 von Barbara 1 Kommentar

2. Steigerung durch erregende Momente (zur Verwicklung im Höhepunkt)

Verwickelter und verfahrener als im Augenblick kann es wohl nicht mehr werden.

Der Josef  glänzt durch Desinteresse, geht nicht ans Telefon, lässt sich von seiner alten Mutter entschuldigen. Hagen lief ihm 3 Tage hinterher. Traf ihn am Mittagstisch seiner Mutter, fragte ihn, ob er mitmacht oder nicht, er soll mal eine klare Antwort geben, endlich maulte er rum und nuschelte: Nein. Auch sein älterer Bruder an Mutters Tisch sagte: Nee, er macht nicht mit. Dann sagte Hagen: Na gut, dann such ich einen anderen. Da heulte die Mutter los, dann liefen sie hinter ihm her, dann riefen sie an, dann kamen sie mit dem Trecker und sagten, dass sie beide doch mitmachen. Aber gekommen ist noch niemand zur Probe…

Irgendwie fehlt in diesem Dorf eine Autorität, aber anscheinend sind in so einem Dorf nur Versager versammelt. Die was auf dem Kasten haben ( es gibt immerhin 2 Lehrerinnen hier, die aber auswärts unterrichten), betrachten das Dorf als billige Schlafstelle, wo sie privat abtauchen können.

Dann sagten die Eltern des Christkinds ab. Wir liefen mehrmals zu Leuten, die ein Kleinkind haben, aber die ließen uns sowas von abblitzen und überließen uns einer deprimierenden Statistik und Betrachtung der portugiesischen Alterspyramide. Demnach ist Portugal das am meisten überalterte Land Europas. Wir werden eine Puppe nehmen und mit dem verschlafenen und maulfaulen Josef Playback singen.

Dann sprang der vierte Hirte ab, weil seine Eltern nach Lissabon zum Essen fahren. Wir gingen wie die Missionare einer Sekte von Haus zu Haus und fragten nach einem Ersatz. Diese 8-10 jährigen Knaben sind wohl menschenscheu, um nicht zu sagen etwas blöd, sie stotterten: "Nein, das kann ich nicht, nein, das mag ich nicht, nein, ich will nicht…" Ich sagte (schlau und listig), weil ich den einen Bengel gerne gewinnen wollte: "Deine Lehrerin hat gesagt, du bist intelligent und kannst das:" Aber der Junge durchschaute den Trick und fragte: "Welcher Lehrer? Ich gehe doch aufs Gymnasium nach Vagos!" Dann kam die Oma mit dem Stock um die Ecke, drohte uns zu erschlagen, weil wir den Enkel verderben wollten und keifte: "Der Kleine darf gar nichts sagen und kaufen, der darf nur das machen, was der Vater anordnet, kommen Sie abends wieder und reden Sie mit dem Vater!"
Der Vater abends war zwar sehr geschmeichelt und bestätigte, dass er einen sehr intelligenten Sohn habe (wahrscheinlich glauben das alle Väter, weil sie ja selbst so intelligent sind), ließ sich die ganze Weihnachtsgeschichte erzählen, die er anscheinend noch nie gehört hatte, ließ sich die Rolle des Hirten erklären und sagte dann, er sei mitsamt seiner Familie sowieso nicht da, weil er in die Berge zu den Verwandten zum Essen fahre.

Von dieser Minute an glaubte ich nicht mehr an die verborgenen Bildungsreserven auf portugiesischen Dörfern.

Dann wurde uns mitgeteilt, es gebe keine Kuh und kein Kalb für den Stall von Bethlehem.
Nnaja, wir haben ja die 2 Esel…

Dann ließ uns der Küstersohn mitteilen, er wisse nichts davon, dass ein Stall gebaut werden soll. Und außerdem habe er keine Baumstämme. Und alleine könne er das sowieso nicht.

Dann wussten wir noch immer nicht, ob der Padre nun kommt oder nicht, denn er ist zur Zeit in Fatima. Hagen fragte zweimal im Altersheim nach, da zuckte man nur mit den Schultern. (Ich weiß schon, warum ich der Büroangestellten in meinem Krimi sone Rolle zuwies.)
Auf dem Flur saßen die Alten und hörten Kassetten mit Kinderliedern. Hagen fragte gutgelaunt: "Möchtet Ihr auch einmal deutsche Weihnachtslieder hören?" Sie meinten, das könnten sie nicht sagen, man müsse den Padre fragen.

Da hatten wir also alle die Tage nur Leute um uns gehabt, die überhaupt keine Meinung haben und nur das wiederholen, was man (aber wer ist das:  M a n ??), was man ihnen vorsetzt. Und das soll nicht deprimierend sein?

Abends war Chorprobe angesetzt. Der Chorleiter hatte denkbar schlechte Laune und wollte lauter neue Lieder mit uns einüben, die er selber nicht spielen konnte, er fingerte auf dem Harmonium herum und erklärte uns für Ignoranten, weil die unbekannten lateinischen Antifon- Melodien so schwer zu singen waren. Hagen und mich würdigte er offensichtlich keines Blickes, brach dann nach 1 1/2 Stunden die Übung ab und fuhr auf mich los: "Warum hat der Pastor mir aus Deutschland keinen Brief geschrieben, dass diesmal an Weihnachten das Krippenspiel stattfinden soll?"

Hä?

Also, ich muss schon sagen, ich verstand gar nichts mehr…
Versteht das irgend jemand?

Hagen suchte die Männer auf, die eventuell den Stall bauen können. Sie saßen alle im Cafe. Noch ein Canossagang mehr.

Die Hirten Alexander und Carlitos werden zur Zeit als Feuerwehrleute in einem Extrakurs geschult und sind unabkömmlich, ihre Texte können sie eh nicht auswendig.

Ich ging alleine nach Hause durch die stille Nacht. Hinter mir stritten sich die Chorleute, sie wollen den Ersatzorganisten nicht, den mögen sie nicht leiden, es sei nachts zu kalt, sie wollen es am Weihnachtstag spielen um 4 Uhr, nein, um 3 Uhr, nein, das ist zu früh, nein, das ist zu spät…  

Eine Herde ohne Hirt.

Am nächsten Morgen fuhr Hagen erneut herum, organisierte die Esel, besuchte (vergeblich) den Padre, benachrichtigte den Organisten, hatte eine Aussprache mit dem Chorleiter über Traditionen und Gewohnheiten, übte mit dem kleinen Jungen  die Rolle als 4. Hirte…

Wie gerne wäre ich bei der Sonne an den Strand gefahren und hätte diesen Streit und Krampf und fruchtlosen Einsatz bei allen diesen unbeweglichen Menschen hinter mir gelassen.

Eine Antwort

  1. volkmar schreibt:

    Liegt\’s am "deutschen Tatendrang", der sich mit der romanischen Lebensart so schwer tut?
    Mir sagte hier in Frankreich mal ein älterer, schon recht weiser Mann in der Kirchengemeinde, als ich nur einen Vorschlag zu einer kleinen Verbesserung machte, und der Mann war immerhin ein Arzt, also einer, der einen kranken Organismus heilen will: Monsieur, faites-vous prier! – Lassen Sie sich bitten!

    Nur eben, das tat gar keiner, es bat mich niemand. Entweder sahen sie keinen Bedarf, oder andere Dinge waren ihnen wichtiger, oder das hatte es noch nie gegeben, und außerdem: was wollen diese Ausländer.

    Im Moment ist das Essen wichtiger. Hier übrigens auch. Die Leute bestellen sich sofort Medikamente gegen Verdauungsbeschwerden mit. Und wenn bei Euch in Portugal das Wort "Tradition" so strapaziert wird, dann heißt das doch, wir wollen keine "Neuerungen". Falls aber doch eine zu Stand und Wesen kommt, und sie ist ein Erfolg, dann hat sie wie immer viele Väter gehabt.

    Nur ist es in Deutschland wohl nicht besser. Wir hatten ein paar Mal ein Gemeindefest gefeiert, plötzlich waren die Leute satt und hatten keine Lust mehr.

    Heute kann man nur noch einen "event" machen. Ein einziges tolles Ereignis, das zu nichts Weiterem verpflichtet. Nennt doch das Krippenspiel mal "Josef der Emigrant", der in seine Stadt Betlehem zurückkommt, "darum, dass er aus dem Hause und Geschlechte Davids war", und wie er dann zum großen Weihnachtsfressen eingeladen wird.

    Irgendwie  lustig, dass die Spaßgesellschaft jetzt schon die portugiesischen Gestade erreicht hat.

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