Chronik von Troviscal

Verfasst am: 22. September 2005 von Barbara 1 Kommentar

Armor Pires Mota, der Schriftsteller und Chefredakteur des "Jornal da Bairrada",
stellte sein neues Buch vor: "Troviscal in historischer und kultureller Sicht". Dazu luden der Präsident des Distrikts Oliveira do Bairro (in MeckPomm würde diese Persönlichkeit wahrscheinlich Landrat heißen), der Bürgermeister von Troviscal und neben dem Autor noch andere wichtige und vor allem gewichtige Lokalgrößen ein und zwar nach Troviscal in den Salão Nobre des neuen Rathauses.

Samstag, 10.9.2005 um 17,00 Uhr. Wir strömten hin, die Massen strömten, drängten sich auf der Treppe zum Noblen Saal, wischten sich den Schweiß, begrüßten sich distanziert – viele Männer, nur sehr wenige Frauen. Alles war besetzt, sogar die Fensterbänke. Es war kaum noch ein leerer Stuhl vorhanden. Wir schnappten uns einen vom Flur und setzten uns hinten ans offene Fenster mit Blick über grüne Feigenbäume draußen und grauhaarige Hinterköpfe drinnen, schwitzende Nacken in karierten Hemdkragen, artige naphtalinduftende Sonntagsanzüge.

Die Moderation machte die Leiterin der Bibliothek in Oliveira do Bairro, die Senhora Dotora Cristina, die braungebrannt und mit schwarzem Haar einer Indianersquaw ähnlicher war als einer studierten blaustrümpfigen Bibliothekarin.
Nach altbewährter Tradition bat sie die Lokalmatadore an den Präsidententisch aufs Podium. Dort prangten ein Bukett aus gelben Winterastern und viele Wasserflaschen und Mikrofone. Einer nach dem anderen der hochehrwürdigen und reich betitelten Lokalmatadore betrat nach Namennennung das Podium und stellte sich hinter dem hochlehnigen Ledersessel auf.  Auch eine rundliche Frau Professora war darunter, in schwarzem Kleid (das sieht immer so intellektuell aus), mit Mittelscheitel, Knoten und Brille. Schließlich der Autor selbst, den wir sehr schätzen. Er trug diesmal nicht den gewohnten roten Pullover wie sonst, sondern einen Anzug und eine hellblaue Krawatte. Er trug außerdem sein dickes neues Buch unter dem Arm.

Wie früher eine patriarchisch regierte Familie beim Mittagessen zum Gebet am Tisch stand, sah man jetzt die wortgewaltigen Personen dort stehen.
Ehrlich, das hat was.
Die Show  beginnt oder "Kompagnie halt, Gewehr ab, stillgestanden, Helm ab zum Gebet" und dann kommt der Zapfenstreich – oder wie bei Raus Abschied "Jesus bleibet meine Freude" und "Ich bete an die Macht der Liebe". Und dann wischt man sich gerührt und ergriffen eine Träne weg.

Im Saal herrschte ehrfürchtige Stille, und ich konnte außer dem Verfasser des Buches von denen da oben schon jetzt keinen leiden. Ich dachte, wenn jeder dieser 8 Würdenträger auch nur 5 Minuten redet, sind das 40 Minuten, wie soll man das aushalten? Sie würden ja auch gar nicht nur 5 Minuten reden,sondern  viel länger, diese dicken alten Männer und Repräsentanten des Volkes stellen sich so gerne dar.

Mit zitterndem Doppelkinn trug der erste seine Lobeshymne vor, während sich einer Notizen für seine bevorstehende Eloge machte, ein anderer trank, zwei miteinander tuschelten, alle weiteren ein interessiert-nachdenkliches Gesicht zur Schau trugen, so mit in die Ferne gerichtetem Blick.

Ich versuchte, in den Gesichtern im Publikum das markante Profil von Herrn Armor wiederzufinden. Das da müsste eine seiner Töchter sein, und die da, und das ein Sohn von ihm?

Die Frau Professora machte es kurz. Sie sagte, ein Buch über die Geschichte von Troviscal könne man nicht erdenken, literarisch verfassen, "schreiben", denn die Geschichte schreibe sich selbst, und sie stellte mit großer Bewunderung – nein, nicht den Autor, sondern den Kirchengeschichtsprofessor aus Aveiro vor, einen hochkarätigen Kenner der Geschichte nordportugiesischer Ortschaften. Der hub sodann an zu stottern, begrüßte alle die schon mehrmals gelobten und gepriesenen Herren, setzte sich wieder und trug seine profunden Kenntnisse vor, die man aber darüber hinaus auch in seinem Aufsatz als Beitrag in dem Buch lesen kann. Er sagte vor jedem Wort "…eh…", ich habe noch nie soviele E\’s gehört wie in dieser Rede. Dieser kluge Mensch war wie viele Gelehrte einfach nicht rhetorisch oder pädagogisch geschult. Er merkte auch nicht, wie die Zuhörer nach wenigen Minuten gelangweilt und unruhig auf ihren Sitzen herum rutschten, zum Fenster gingen, sich schneuzten oder sich irgendwie zu schaffen machten, was aber auch daran lag, dass man nicht gerne mit der jüngsten Geschichte der Kirchenverfolgung konfrontiert werden wollte. In diese üblen antiklerikalen Machenschaften in der Vergangenheit waren die meisten ja wohl persönlich involviert. Und genau darüber sprach e-der e-so e-kluge e-Professor, wobei ich Untertöne oder Hinweise auf den Antiklerikalismus heute wahrzunehmen ja leider nicht in der Lage bin.

Erfrischend waren nun die Worte des Autors, der jedem der 200 Zuhörer ein persönlich signiertes Exemplar in Aussicht stellte. Und schon stürzte man nach vorn, um sich sein Exemplar abzuholen. Dabei waren von den Oberhäuptern drei noch gar nicht zu Worte gekommen, Also, wieder hinsetzen und zuhören. Jetzt war nämlich der Bürgermeister mit donnernder Stimme dabei, uns die ehemaligen Bürgermeister des Ortes, seine Vorgänger aus den letzten Amtsjahren vorzustellen. Ihre Porträts hingen in dunklen Rahmen dicht an dicht an den Saalwänden. Zum Glück erwähnte die Donnerstimme aber nur diejenigen, deren Nachfahren er noch aufgetrieben und zu dieser Buch-"Apresentation"eingeladen hatte.

Danach kam endlich der Herr an die Reihe, der sich die ganze Zeit Notizen gemacht hatte. Würde er das jetzt alles noch ablesen und vortragen? Dieser elegante Regierungsgewaltige erinnerte mich leider an jemand, den ich überhaupt nicht leiden konnte, weshalb ich Folterqualen durchlitt.
Es waren schon 2 Stunden vergangen. Diese letzten Viertelstunden – würden die überhaupt mal vorüber gehen?
Welche Geduld hat doch diese Nation der Portugiesen!
Geschafft.
Der unangenehme Typ formulierte letzte Worte, setzte sich, goss sich ein Glas Wasser ein und "setzt es an und trank es aus: O Trank voll süßer Labe! O wohl dem hochbeglückten Haus, wo das ist kleine Gabe…"
(Mit Goethe übersteht man alles, selbst im Schillerjahr.)

Nun blieb nur noch einer übrig. Der hatte am meisten geschwitzt, denn er war der Überge-wichtigste von allen. Was blieb denn nun noch zu sagen, wo alles gesagt war und jeder gern nach Hause gehen (natürlich vorher noch ein Buch ergattern!) wollte. Tiefes Seufzen im Volke.

Da stand er auf, 4 Zentner Amtsperson standen auf und sagten: "In dieser feierlichen Stunde – wollen wir nun – an die Menschen in Troviscal denken,
die nicht mehr unter uns sind."
Er faltete die Hände über seinem Gebirge von Bauch.
"Wir stehen auf. "
Alle erhoben sich.
"Eine Schweigeminute."

Eine Antwort

  1. volkmar schreibt:

    Fürchterlich, dieser Laufsteg der Eitelkeiten! Wobei ich mir den schwitzenden Dickhäuter dort oben kaum laufend vorstellen kann. Dafür umso besser den "fortlaufenden Erfolg" beim Publikum.

    Hier (in Frankreich) redete auch mal einer (nur "einer", denn zu anderen bin ich nicht mehr hingegangen) so furchtbar lange und sagte dabei nie "ich", sondern immer nur "votre humble serviteur" – "Ihr untertänigster Diener". Ich kam mir vor wie im Mittelalter.

    In der Demut nahm der das glatt mit jedem auf.

Eine Antwort verfassen