Der 18. September 2005
Dieser denkwürdige Tag begann mit einem grandiosen Naturschauspiel. Der Himmel war geteilt in eine westliche blaue, sonnig-klare Hälfte und eine grauschwarze im Osten, in der wie durch ein Loch die Sonne als glühende Orange leuchtete.
"Das ist Rauch von einem Großfeuer, da hinten brennen die Wälder", fürchtete ich.
"Nein, das ist eine dicke Regenwolke, die aus dem Tal bei Agueda herauf und nach Südosten abzieht", sagte Hagen.
Wir diskutierten eine Weile, schnupperten, ob wir Brandgeruch wahrnehmen konnten: es roch aber noch nicht verbrannt, und die dunkle Wolke kam näher, deutlich abgegrenzt von der himmelblauen Himmelhälfte.
Es war ganz klar, dass da im Tal vor dem Caramulo die Wälder brannten, ich wusste es genau und spürte dieses Entsetzen aus den Bombennächten wieder. Eine fürchterliche Nacht war das, eine Nacht, die taghell war und erfüllt von schrecklichem Hundegejaul in der Ferne und chimärenhaften Schatten auf den Feldern und Hausdächern. Der Wind hatte heftig gestürmt in dieser Vollmondnacht zum Sonntag.
Kaum dämmerte es, da begannen die Jäger zu schießen, was den Eindruck vom Kriegszustand noch verstärkte. Es gibt hier mehr Jäger als Mäuse, ich weiß nicht, auf was die Männer schießen, wo doch kein Reh oder Fuchs mehr hierzulande lebt und überhaupt existieren kann.
Günter kam mit seinem Trecker an, um nachzusehen, ob wir schon von den Flammen umzingelt- umzüngelt sind, denn von seinem Gehöft sah es so aus, als brenne der Wald hinter unserem Haus. Aber Hagen beschwichtigte ihn und behauptete, es sei nur eine dunkle Gewitterwolke, wir sollten schon mal die Regenschirme herausholen.
Als wir zur Messe gingen, hatte die Rauchwolke das Dorf überzogen, und alle wussten schon, dass es bei Anadia brennt. Die Gegend ist so etwa 20 km von hier entfernt. "Die ganze Nacht hat es gebrannt", sagte Arcindo, der vor seinem Haus die Straße fegte, "ein Dorf bei Mortaqua ist niedergebrannt, Hunderte von Feuerwehrleuten sind im Einsatz, auch Löschfahrzeuge, ein Altersheim wurde evakuiert, auch andere Ortschaften sind betroffen. Durch den Wind hat sich das Feuer so schnell ausbreiten können."
Da sitzt nun eine Gemeinde da, weiß genau Bescheid und fürchtet sich, auch der Padre weiß längst, wie groß und wie nahe die Gefahr ist, aber er weicht kein bisschen ab von seiner Liturgie, findet keine persönlichen Worte, auch kein Gebet, betet auch nicht für die Betroffenen in der Nachbarschaft, geht wieder fort zum nächsten Gottesdienst und lässt uns hier stehen.
Nein, nicht ganz, er hat uns zum ersten Mal die Hand gegeben. Das geschah ganz aus Versehen, weil ich gerade im Gespräch mit Dorindo eine Handbewegung machte, als er vorbeieilte, eine Geste, die er missverstand, so drückte er erst Hagen und Dorindo, dann mir die Hand. Na toll.
Die Leute standen noch eine Weile vor der Kirchentür, eingehüllt in Rauch und Brandgeruch, und wandten sich dann ihrem "Heiligen" Doktor Hernandez Gregorio zu, dessen Fest sie zu feiern gedachten.
Wir allerdings feierten den Geburtstag von Großvater Arcindo und seinen Enkeln Ivo und Tomás und kamen Stunden später völlig abgekämpft zu den ersten Hochrechnungen der Wahl in Deutschland an den heimischen Fernseher zurück.