Fatimas zweites Buch

Verfasst am: 30. Juni 2005 von Barbara 6 Kommentare

Fatima Bica hat uns zur Buchvorstellung eingeladen. Es ist ihr zweites Buch, das sie jetzt veröffentlicht. Es ist ein Tagebuch und enthält kritische Aufzeichnungen einer Lehrerin über das portugiesische Schulwesen. Der Titel ist "Tagebuch der Stôra Lili". Die festliche Präsentation findet wie beim ersten Mal im Rathaussaal in Mira statt, am kommenden Samstag um 22 Uhr.

Über Fatimas erste beeindruckende Kulturnacht habe ich vor 2 Jahren berichtet, du findest die 3 Mails im Archiv "Mails aus meinem Dorf" vom Januar/Februar 2003.

Fatima schickte eine schriftliche Einladung, rief aber gleichzeitig an, um ein paar persönliche Worte zu wechseln. Sie fragte auch höflich und kollegial: "Schreibst du wieder an etwas Neuem? Hast du etwas veröffentlicht?"
Ja, ich schreibe andauernd, aber es wird immer schwieriger, etwas zu veröffentlichen, und noch viel mehr, es zu verbreiten.
Sie sagte, dass sie ebenfalls große Schwierigkeiten habe, den Druck bei der Edition Colibri habe sie diesmal selbst bezahlt, aber es sei ihr gelungen, in allen Buchhandlungen ausgestellt zu werden und in der Presse, vor allem in "Jornal das Letras", besprochen zu werden. Und dann wird sie und ihr Buch demnächst im RTP vorgestellt.
Herzlichen Glückwunsch, das ist ja schon ein großer Schritt.
"Ach", sagte sie, "in Portugal hast du als Schriftsteller heute nur Erfolg, wenn du ein Homosexueller oder ein Stripper bist oder Pornografisches lieferst, Sex und Crime."
"Aber du wirst Erfolg haben, weil du eine junge Frau bist und eine sehr schöne kluge Frau außerdem", widersprach ich. "Allerdings weiß ich nicht, wie deine Kritik am Schulwesen aufgenommen wird. Wer will das schon hören? Und gibt es hier in Portugal tatsächlich Kritik an den Lehrern?"

Später, nach diesem Gespräch mit Fatima, erzählte mir Katharina von einer Mutter in ihrer Gemeinde, die sich bei der Schulleitung beschwert hat, weil die von den Lehrkräften schriftlich ausgestellten Beurteilungen in den Zeugnissen der Kinder voller Rechtschreibfehler sind.
Armes Deutschland.
Oh, PISA-Studie!
Wer kritisiert und belehrt nun die Lehrer?

6 Antworten

  1. Harry Hauber schreibt:

    Kritik an Lehrern ist m.E. berechtigt, wenn sie alles in einen Topf werfen, z.B. Homosexuelle mit Strippern gleichsetzen und sie als Feindbilder benutzen.

  2. Volkmar schreibt:

    Wieso sollte die portugiesische Lehrerin die Homosexuellen als "Feindbild" benutzen, was dann zur Kritik an ihr berechtigt, und warum sollte sie das bei Strippern aber dürfen, verehrter Vorwortführer?

    Ich verstehe diesen Nebensatz schlichtweg so, dass durch eine Minderheit, unter anderem Homosexuelle, das Thema für eine Mehrheit, Nicht-Homosexuelle, bestimmt wird. Und ich verstehe das aus meiner Erfahrung unter anderem so:

    Wir hatten vor einiger Zeit in Deutschland eine Pfarrkonferenz, auf der das Thema Homosexualität behandelt wurde. Plötzlich hatten fast alle Kollegen, bisher biedere Familienväter,  "schon immer diese Neigungen" gehabt. Aber jetzt endlich durften sie sich trauen, damit zu kokettieren. Und sie fühlten sich richtig modern. Mut hat auch der lahme Muck! Es kostet ja auch nichts.

    Ich als einziger wagte es, öffentlich zu sagen, dass ich "diese Neigungen" nicht verspürt hätte, ein biederer Familienvater sei, bleiben möchte, der sich freue, auf die Silberhochzeit (und vielleicht mal, aus reinen Lebenszeitgründen, auf die Goldene) zuzugehen, mit seiner Frau, worauf ich als völlig "out" angesehen wurde. Ich war für die Mehrheit der "Unnormale", nicht mal geschieden war ich!, ich hatte den Eindruck, dass ich mich für mein Anders-Sein sogar noch entschuldigen musste. Dabei hatte ich  nicht gesagt, meine Lebensweise sei moralisch einwandfrei, die der anderen verwerflich. Ich hatte auch nicht einmal daran gedacht.

    Es wird doch von der portugiesischen Lehrerin überhaupt kein moralisches Urteil über Homosexuelle oder andere abgegeben. Nicht einmal über "crime". Sie sagt nur, dass heute ganz bestimmte Themen behandelt werden müssen, wobei ein so "biederes" Thema wie das der Pädagogik in der Schule nicht interessiert.

    Mag die Sprache, ob nun die portugiesische, die deutsche oder welche andere noch, verwahrlosen, das ist eben kein Thema für die Gesellschaft. Wen interessiert es denn, wenn es im Schulwesen Probleme gibt?

    Kritik an Lehrern, verehrter Vorwortschreiber, und da gehören Sie zur Mehrheit, interessiert die Leute nicht, wenn erstere weder die Grammatik noch den Wortschatz beherrschen. Kritik an Lehrern ist nur dann angebracht, wenn sie die Mode nicht mitmachen, über Homosexuelle zu schreiben, weil sie damit ein "Feindbild" aufrichten.

    Und damit bestätigen Sie genau das Problem, das die Lehrerin genannt hat.

  3. Harry schreibt:

    Sehr geehrter Diskussionspartner,

    Es ist schwer diesen Diskurs von der emotionalen auf die sachliche Ebene zu heben. Ich denke, dass sich in dem, was Sie ansprechen, verschiedene Problemfelder überlagern.

    Zuerst einmal müsste man die These der Lehrerin überprüfen, ob Homosexuelle (spezifisch in Portugal) tatsächlich verlegerisch mehr Erfolg haben. Und ob die Qualität von Literatur tatsächlich an der Auflagenhöhe der Druckerzeugnisse gemessen werden kann. Ich denke nein, sondern was mich betrifft ist es eher die Frage, ob mir Texte neue Horizonte aufschliessen und in mir nachhallen, mich bewegen und neue Perspektiven erschließen.

    Das ist aber aus der Aussage der Lehrerin nicht wirklich herauszufinden und deshalb war meine Vermutung, dass es sich um eine polemische Aussage handelt. Sehen Sie die Polemik nicht?

    Mit freundlichen Grüßen
    Ihr Diskurspartner

  4. Volkmar schreibt:

    Nee, sehe ich überhaupt nicht!

    Ich versuche mal, das mit einem Beispiel zu erklären: Joschka Fischer hat neulich ein sehr wichtiges Buch veröffentlicht. Das ist aber mit einer solchen Vehemenz von der Aktualität weggespült worden, sprich vom Misstrauensantrag des Bundeskanzlers, dass kaum ein Mensch mehr davon spricht. Ich habe sogar den Titel vergessen. Übersteigert würde ich sagen, Fischer fände heute nicht einmal mehr einen Verlag für solch ein Buch. Ähnlich spülen die aktuellen Wogen das Thema Pädagogik weg.

    Das Ganze hat mit Polemik überhaupt nichts zu tun, sondern  mit der schwierigen Gemengelage einer kulturellen Situation.

    Die Polemik haben Sie durch den Ausdruck "Feindbild" reingebracht. Ich denke, sie war vorher nicht drin. Das polemische Problemfeld habe ich jedenfalls nicht in dem eher harmlosen Zitat der betreffenden Lehrerin empfunden.

    Ich habe vielmehr den Eindruck, dass die dünnhäutigen Reaktionen oft von den Homosexuellen kommen, die sich angegriffen fühlen und dann eine Vorwärtsverteidigung beginnen. Was mich wundert, wenn sie (ich verallgemeinere) sagen, dass Homosexualität doch eine normale Veranlagung sei wie die Heterosexualität.
    Ich habe öfter erlebt, dass ich sogar begründungspflichtig wurde, wenn ich über Homosexualität sozusagen wertneutral geredet habe.

    Ich bin hier in Frankreich ein Ausländer. Wenn mich einer einen Deutschen nennt, empfinde ich das nicht als Feindbild (obwohl es das manchmal noch durchaus sein kann), sondern als etwas Normales.

    Andererseits kann ich die Dünnhäutigkeit geschichtlich schon einordnen, weil ich oft genug das KZ Buchenwald besucht habe. Aber ich dachte, das sei lange vorbei!

    Mit einem freundlichen Schalom
    V.

  5. Harry schreibt:

    Heisst das nicht, wenn die Autorin gesagt hätte: "in Portugal hast du als Schriftsteller heute nur Erfolg, wenn du ein Deutscher oder ein Stripper bist oder Pornografisches lieferst, Sex und Crime" empfänden Sie das nicht als Polemik?

  6. Volkmar schreibt:

    Na ja, so passt das natürlich nicht. Lässt sich schlecht übertragen mit der Nationalität. (Aber es gibt ja z. B. auch den Ungarn Georges Mikesch, der in GB über die Engländer geschrieben hat und gerade als Ausländer damit viel Erfolg hatte. Wenn dasselbe ein Engländer geschrieben hätte, wäre es vermutlich langweilig gewesen. Der hätte das wohl auch gar nicht so gesehen.)

    Aber sagen wir mal so: "In P. oder XY hast du als Schriftsteller nur Erfolg, wenn Du selbst zu einer Minderheit gehörst (und ein Thema aus der Perspektive dieser Minderheit behandelst),  oder aber wenn Du ein Thema behandelst, das nicht zum Alltäglichen gehört wie die Schule, nämlich ein saftiger Sex-Skandal auf Minister-Ebene oder ein besonders tückischer Mord, oder eine peinliche Enthüllung."

    Aber jetzt kommt sicher einer und sagt, ich hätte die Homosexuellen mit Mördern gleichgestellt!

    Die Grundaussage bleibt für mich: Interessant für die Gesellschaft sind die Minderheitenthemen, alles das, wozu die Mehrheit selbst nicht gehört. Die Mehrheit interessiert das Außergewöhnliche, nicht das Alltägliche. Und zu sagen, etwas sei außergewöhnlich, ist noch nicht polemisch.

    Ist es polemisch, Sex als Sex zu bezeichnen? Ist es polemisch, einen Mord als Mord zu bezeichnen?

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