Rio de Onor

Verfasst am: 29. Mai 2005 von Barbara Keine Kommentare

"Wie wir Portugiesen hier oben an der spanischen Grenze leben? Na, ausgezeichnet. Wir sprechen alle sowohl spanisch als auch portugiesisch", sagt Herr Abel. Er ist Gastwirt und von Berufs wegen sehr konziliant. Als Wirt nimmt er von Berufs wegen gerne jeden Besucher auf, ohne nach dessen Nationalität oder Konfession zu fragen. Und ein spanischer Euro ist genau so viel wert wie ein portugiesischer. Senhor Abels Restaurant erfreut sich ständig, aber besonders an den unterschiedlichen Nationalfeiertagen regen Besuchs aus Spanien. Andererseits weiß Senhor Abel seit jeher die Vorzüge des "kleinen Grenzverkehrs" (sprich der unterschiedlichen Preisgestaltung ) zu schätzen. "Jetzt werde ich euch ein Dorf zeigen, das halb portugiesisch und halb spanisch ist", sagt er, wirft sich hinters Steuer und braust los.
Wir brausen hinterher, so gut wir können.

Es geht 25 km bergauf und bergab. Die Berge sind kahl oder mit blühender Macchie überwuchert. Manchmal sehen wir eine Anpflanzung von Pinien, die aber alle verdorrt zu sein scheinen. "Nein, die sind nicht verdorrt, die sind vom Käfer zerfressen: das ist der sogenannte lagarta."
"Lagarto? Das ist doch die Eidechse", widersprechen wir.
"Nein, ich sagte lagarta mit a am Ende, das ist eine Raupe, die  die Bäume zerstört. Die Eidechse heißt lagarto mit o."
"Gibt es kein Mittel dagegen?"
"Sie verschwindet sofort, wenn es regenet. Aber leider haben wir keinen Regen."

Wir klettern und klettern bergan, dann aber senkt sich die Straße in ein Tal hinunter. Wie saftig grün hier alles ist. Ein Flüsschen schlängelt sich durch das Tal. An seinem Ufer sind kleine Gärten, wohlbestellte Felder, blühende Wiesen, alte schiefergedeckte Häuschenin engen Gassen. Das Dorf heißt wie das Flüsschen Rio de Onor. An einer Stelle wird der Fluss gestaut, da baden Kinder im klaren Wasser, auch ein paar Kanus sind zu sehen.
"Alles portugiesisch", erklärt Senhor Abel, "aber passt auf, jetzt kommt die Stelle, wo früher die Grenze war. Achtung, hier, mitten auf der alten Straße. "
Ein kleiner Buckel, statt Pflaster jetzt Asphalt, dann ein Schild: Wir sind im Dorf Rio de Onor in Spanien.
Gibt es einen Unterschied?

Wir lassen das Auto unten am Flüsschen stehen. "Bitte nicht auf der grünen Wiese", tadelt uns der Besitzer, der aus dem Haus mit dem kleinen Laden angelaufen kommt. Er trägt eine Dose mit Ölfarbe und hat wohl gerade ein Verbotsschild gemalt oder seinen Zaun an seinem blitzsauberen Haus gestrichen, das im Gegensatz zu den halb verfallenen Steinhäusern überhaupt nicht schmuck, sondern einfach nur neu und hässlich wirkt. Der Mann allerdings ist ein bildschöner, sehr gepflegter Spanier mit einem jungen intelligenten Kopf, und er scheint Senhor Abel zu kennen. Aber wer kennt ihn hier in der Umgebung nicht?

Mitten im Flüsschen liegen in kleinen Abständen flache Zementblöcke, so dass man bequem zur anderen Seite gelangen kann. Die Häuser sind alle im gleichen Stil gebaut. Unten sind die Ställe, nach oben führt eine Holztreppe zum Wohnraum, der meistens eine Holzveranda zur Gasse hinaus hat. Rote Kletterrosen, eine blau angestrichene Tür, gehäkelte Gardinen, Geranientöpfe verzaubern die Armut. Manchmal öffnet sich ein Fensterchen und eine alte Frau schaut neugierig heraus, ein Hund kommt und beschnuppert uns, ein üppig weiß blühender Schneeball-Strauch entzückt uns. Es ist warm, friedlich, malerisch.
Wir gehen die Gassen hinauf zur Kirche und stellen keinen Unterschied fest. Eine fest aus Steinen gebaute Kirche, die von einem Friedhof umgeben ist.
"Woran würdest du merken, dass du hier in Spanien bist?"
"Ich würde es gar nicht merken."

Wir gehen in den Laden.
Hinter dem Tisch in dem kühlen, sehr ordentlichen, viel zu ordentlichen Verkaufsraum steht eine blonde Frau. Sie muss älter sein, wirkt etwas kränklich und schweigt. Ihr Mann mit dem schönen Kopf – er hat graue Haare, aber wahrscheinlich macht er so einen jugendlichen Eindruck, weil er so lebendig spricht – führt ein engagiertes Gespräch über die Europapolitik und den Sozialismus, er ist (mit den Franzosen) gegen die EU und schätzt Willi Brandt, dessen Adoptivsohn er persönlich kennt, nebenbei schildert er das Leben im Dorf als sehr arm und schwierig, es wohnen nur alte Menschen hier, es gibt keine Möglichkeit, Geld zu verdienen, aber viel Arbeit, allein die Unterhaltung der historischen Gebäude… Die Frau schreibt stumm die Preise für unsere Getränke auf einen Zettel und schiebt ihn wortlos ihrem Mann hin. Sie ist frustriert, sie leidet still vor sich hin. Es muss einmal eine schöne Frau gewesen sein. Sie ist so kühl und traurig wie der Kaufmannsladen.

Aber draußen plätschert der Fluß. Die Sonne funkelt auf dem Wasser, das klar und rein ist und munter dahin fließt, von Spanien nach Portugal. Zwei junge Mädchen setzen sich auf die Steine und baden ihre Füße im Wasser. Ein alter Herr im blütenweißen Hemd spaziert am Fluss entlang, ein junger Hund stellt sich auf einen der Brückensteine und trinkt Wasser, ein Angler stapft weiter flussabwärts, wo wir ihn nicht mehr stören.
Weiter flussabwärts ist Portugal, aber das wissen die Fische nicht.

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