Fronleichnam in Babe 2005

Verfasst am: 28. Mai 2005 von Barbara Keine Kommentare

Lieber Claudio,
du hast uns vorgestern nicht erreichen können?
Ja, wir sind mit den Nachbarn in die Berge gefahren. Der Ehemann meiner Nachbarin Maria kommt aus Tras-os-Montes, nein, noch weiter, aus einem Dorf namens Babe nahe der spanischen Grenze, hinter Bragança. Er hat sehr oft Heimweh, denn unser Dorf liegt ja hier in der grünen Ebene am Atlantik zwar sehr fruchtbar und lieblich, aber irgendwie fehlen dem Carlos immer seine Berge, die Steine, die Dörfer, die Menschen, nun ja, alles das, was eben Heimat ausmacht.

Also packte die Nachbarin die Spezialitäten der Bairrada in eine riesengroße Kühlbox  - das sind Spanferkel, selbstgebackenes Maisbrot (broa), Wein aus Mogofores, Salat, Erdbeeren und Orangen aus dem Garten – , und wir zogen in aller Herrgottsfrühe los. Ich sage jetzt extra Herrgottsfrühe, denn es war ja ein Heiliger Tag, ein Dia Santa, Corpo de Deus, und das ist in Babe der größte Festtag, sozusagen Kirchweihfest.

Unser Dorf lag noch im Morgennebel, alles atmete Frieden und Unschuld. Auch die Fahrt bis Porto über die völlig leere Autobahn ging durch den Nebelschleier.  Je höher wir aber fuhren, desto kräftiger brach die Sonne durch und versprach einen strahlenden Tag.

Im Dorf vor Babe besuchten wir zuerst noch die kranke Madrinha von Maria. "Wartet, wir kommen mit", riefen Tochter und Schwiegersohn der Patentante und verschwanden im Bad. Wir warteten und warteten. Die feierliche Messe in Babe musste schon seit einer halben Stunde im Gange sein, da kamen sie duftend und frisch wieder hervor, Haarspray- und Rasierwassergeruch verbreitend, er: mit offenem Hemd, damit man die goldene Kette mit Kreuz auf seiner behaarten  Brust sehen konnte, mit Sonntagshose und mit blank geputzten Schuhen, sie: barfuß in Stöckelschuhen und mit Handtäschchen. Alle sprangen ins Auto und schossen wie der Blitz davon, die steilen Kurven in den Bergen mit Elan (bzw. Allrad-Antrieb) überwindend, wobei man natürlich jedes andere Auto überholte, nun ja, das waren eh keine Gottesdienstbesucher, sondern Lieferanten für das Fest, Ü-Wagen und Licht- und Tonfirmen, Partyservice. Wir hingegen wollten ja zur Fronleichnamsmesse, an die sich die große Prozession anschließen würde.

Die Dorfstraßen waren liebevoll mit gelbem Ginster, lila Rosmaninho und Rosenblättern geschmückt, alle Balkons und Fensterbretter quollen über von blühenden Blumen, aus den Fenster hingen gehäkelte Bettdecken und Tagesdecken aus Perlon. (Ich weiß nicht recht, warum das hier immer so gemacht wird. Ich würde niemals meine Bettdecke zur Ehre Gottes aus dem Fenster hängen.) Der Blumenteppich führte über das Katzenkopfpflaster der engen Gassen hoch zur Kirche, wo schon alle Dorfbewohner versammelt waren. Ein paar Frauen stöckelten in langen perlenbestickten Abendkleidern den Weg hinauf. Das wandernde Gottesvolk: Rauschende Festkleider (am Morgen?), nackte Schultern, nackte Beine, hautenge Hosen, parfümgeschwängerte Wolke der Zeugen. Ich dachte an den Kirchentag in Hannover 2005, der Kirchentag der T-Shirts und Birkenstock-Sandalen. Wie unterschiedlich das Volk Gottes ist… Sie standen als dicke Traube vor dem offenen Portal des Gotteshauses und lauschten der Rede und dem Gesang des Priesters, dem manchmal ein undeutliches Volksgemurmel antwortete.

Was sagte er?

Er sagte, dass Fronleichnam ein hoher Feiertag sei, dass die Fronleichnams-Prozession die "Prozession der Prozessionen " sei, dass man voll Stolz und Dankbarkeit Christus durch das Dorf tragen werde, denn Christus sei das Licht der Welt, das Brot des Lebens, das Wasser des Lebens, der Weinstock, die Tür, der gute Hirte… Er reihte alle "Ich bin"-Worte Jesu aneinander, das ergab eine sanfte einlullende Musik, bei der niemand etwas zu denken, zu entscheiden oder zu verstehen brauchte.

Währenddessen standen wir in der Sonnenglut des Kirchhofs, es waren 31 Grad im Schatten. Wir standen wie alle Zuspätgekommenen, weil die Kirche überfüllt, und zwar voller Frauen war. Aber die Männer gehen erst gar nicht in die Kirche hinein, die portugiesischen Männer gehen nämlich "zur" Kirche, also bis zur Kirche, und dann nehmen sie gleich draußen auf der Kirchenhofsmauer Platz. Seltsam, das tun sie eigentlich immer: sie stehen immer vor der Kirche, bei Hochzeiten und Beerdigungen – sie bleiben draußen. Sitzen da mit Goldkettchen auf der Brust, geöffnetes Hemd, blanke Schuhe, rasierwasserduftend, alte und junge Männer, 50 oder hundert. Sitzen in der Sonne und dösen.

Hagen meint, sie sitzen da im Burghof als Beschützer – wie die Ritter im Mittelalter, die ihre Frauen und Kinder ins Festungsinnere und in Sicherheit gebracht haben. Schön. Das ist ja eine sehr liebenswerte Erklärung für dieses portugiesisch-männliche Verhalten, aber wovor wollen denn die Männer die kirchlichen Inhalte (!!) beschützen?? Und wer soll denn da angreifen? Und ob sie wirklich Manns genug sind, wenn es ernst wird?

Wir hatten unterdes Zeit, die Tafel an der Kirche von Babe zu studieren. Diese alte, aus starken granitenen Steinquadern erbaute Kirche stammt aus dem Jahr 1387. Und irgendeine Herzogstochter nahm hier Abschied von ihren Herzogseltern, wurde Königin von Portugal und Mutter des Seefahrers Heinrich… Alte Geschichten.
Uralte Worte und uralte Litanei.
Hier oben in den Bergen ist die Wiege des portugiesischen Volkes.
Das Geraune in der Kirche, die vielen Düfte der vielen Menschen und dazu die glühende Sonne verwirrten meine Sinne…

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