Seit einer Woche weidet drüben am Wald ein schönes braunes Pferd.
Morgens beim Frühstück sehen wir aus dem Fenster auf die Nebelschleier, die vom Boden aufsteigen und aus denen sich langsam die Gestalt des Pferdes löst. Pferde sind hier etwas Kostbares und Seltenes, deswegen schauten wir wie gebannt auf das traumhafte Bild in der Ferne. Die Nebelschwaden verwischen die Umrisse, nichts ist wirklich zu erkennen. Die hohen Pinien und Eukalyptusbäume sind dunkle Schatten, die Felder ein silbernes Meer, die Caramulo-Berge kaum zu erahnen.
Dann entdecken die Augen das Pferd, das den Hals zum Boden gesenkt hat. Das schlanke Tier bewegt sich nicht in dem diffusen Grau. Es erscheint wie der Schatten eines Traumgedankens.
Aber der Traum ist mit einem Strick befestigt. Man sieht die dünne Linie des Stricks im Nebel. Man kann sie ganz deutlich sehen, und Mitleid quillt auf und heiße Wut schießt durch die Adern. Das Tier steht die ganze Nacht auf dieser öden Weide, die wahrhaft keine ist, sondern unbebautes Unkrautland. Und da ist kein Baum und kein Brunnen. Das schöne Tier hat weder Platz noch Schutz vor Regen und Kälte, weder Futter noch Wasser. Nur diesen Strick, mit dem es angepflockt ist.
Auf meiner Wanderung gehe ich bei ihm vorbei, es schaut herüber, ich muss an Kinder im Krankenhaus denken, die am Besuchstag auf ihre Eltern warten.
Niemand kommt.
Gibt es hier eigentlich Tierschutzvereine?
Ich bin als Zeugin der Anklage bereit, – aber bei wem, aber zu was bereit?
Dieser Strick ist an einigen Stellen durchgescheuert.
Ich mag nicht mehr hinausschauen, ich vermeide den Blick aus dem Fenster nach draußen. Das schöne Bild kann über die Wirklichkeit nicht hinwegtrösten. Ich muss etwas unternehmen…
Heute morgen ist das Pferd nicht mehr da. Heute morgen grast das Pferd auf einem anderen Platz, da wo eine Mauer und ein Tor gebaut wird, da wo ein Brunnen voll Wasser ist. „Ach, jetzt weiß ich, warum die Männer dort eine Mauer errichten, vielleicht wird es ja einen Unterstand für das Pferd geben.“ Ich bin erleichtert und lehne mich auf das Fensterbrett. „Jetzt wird es das Tier bald besser haben.“
Das Pferd wandert grasend weiter. „Es hat sich losgerissen, sieh mal, es ist frei.“
Jetzt geht das Pferd auf den Kohlgarten des Nachbars zu, die Hunde kläffen, hetzen übers Feld und bellen, Stimmen werden laut. Die Nachbarn sind als Metzgersleute gerade beim Wurstmachen, sie unterbrechen ihre Tätigkeit und laufen rufend und gestikulierend hinaus.
Ich bin entsetzt. Der Gedanke, dass ein Metzger das Pferd einfangen will, bringt mich beinahe um den Verstand. Die Wursthände, das Schlachtermesser, die blutigen Schüsseln, die meterlangen Därme… Lauf, Pferd, lauf!
Es ist ein junges Pferd, es hat ein glänzendes braunes Fell und einen wunderschönen Schweif. Und jetzt galoppiert es über die Wintersaat. Es wiehert, seine Haare wehen im Wind. Lauf davon!
Fliege davon wie ein Traum!