Zaunreiter

Verfasst am: 10. August 2004 von Barbara 1 Kommentar

Überall werden die Häuser, Zäune und Mauern neu gestrichen. Unser Nachbar langte dabei kräftig in die Farbtöpfe und komponierte eine Kako- oder Sinfonie aus Rosa mit Ocker und Giftgrün. Vielleicht findet er das schön. Er sagt jedoch entschuldigend, die Farben seien ein Geschenk seiner Verwandten aus Frankreich, die zum Fest herbeigeeilt sind.

Von ihnen stammen ebenfalls die Gartenzwerge, die jetzt auf jedem Zaunpfosten seines Gartens für die Ewigkeit einzementiert sind. Auch deren Zipfelmützen, Saxophone und Geräte erhielten einen rosa, ockergelben oder bronzenen Anstrich.
"Jesus Maria!", rief die vorbeikommende Ilda, "was ist das denn?"
"Das sind Bergarbeiter aus Frankreich", erklärte man ihr, "ein Gechenk der Franzosen." (Ich hörte neulich, dass auch die Freiheitsstatue in New York ein Geschenk der Franzosen sei.) Und Geschenken guckt man nicht ins Maul, sondern man ist dankbar und freut sich gefälligst drüber. Bloß, jetzt stellt sich Ilda die französischen Mineurs als Gartenzwerge vor, von denen ich immer dachte, sie seien eine deutsche Erfindung.

Vielleicht ist es auch ein Globalisierungs – und Europäisierungsbeispiel: deutsche Gartenzwerge aus Frankreich haben Einzug in Portugal gehalten.

Aber irgendwie sind diese albernen Gartenzwerge für Portugal ein Verfremdungs-, wenn nicht sogar ein Überfremdungseffekt und eigentlich ein nicht zu verharmlosender Erdrutsch im kulturellen Aufweichungsprozess. Hier haben solche Figuren auf Zäunen und Dächern nämlich von alters her eine sehr tiefe Bedeutung und lange Geschichte. Seit hier Ziegel gebrannt werden, stellte man Tiere oder kunstvolle Spitzen ("Pyramiden") aus Ton her, die an den Enden der Dachfirste angebracht wurden, sozusagen als Auffang- und Abwehrmaßnahme für Dämonen, die das Dach entlangrutschen und ins Haus eindringen können. Das sind spitze Türmchen, dräuende Adler, brüllende Löwen oder Katzen mit aufgerichtetem Schwanz. (Jeder war entzückt über die Katze auf dem verfallenen Eckhaus hier in unserer Straße. Jetzt hat die Tochter des Eigentümers diese Dachreiter-Katze mit nach Australien genommen.) Aus der aufgegebenen traditionsreichen Ziegelei in Pampilhosa stammen wundervolle, fein gearbeitete Dachreiter, die uns der Archäologe Dr. Machado Lopes einmal zeigte und erklärte und die Rudolfos Herz höher schlagen ließen.

Wegen der unwillkommenen bösen Geister stellte man nicht nur solche Dachreiter, sondern auch gar wehrhafte Löwen auf die Eingangspfosten zum Gehöft oder spitze Kegel auf die Zaunpfosten.

Das machten und machen nicht nur die abergläubischen Portugiesen so, sondern auch Deutsche, wie wir das in der Alten Ziegelei in Mainz sehen können. Da versteht man plötzlich, wie man sich früher gegen Hexen und Zauberer abschirmte. Ja, besonders gegen Hexen. Das Wort "Hexe" kommt aus dem Althochdeutschen "hag(a)zus(sa)" – ein Begriff, der mit Hag, Gehege, umhegtes Gebiet zusammenhängt – und bedeutet Zaunreiterin. Eine Hagazussa,  Hexe oder Zaunreiterin ist also jemand, der sich über die "Einfriedung", über die Grenzen anderer hinwegsetzt.

Und nun stehen da plötzlich rosa bemützte Gartenzwerge mit einem bronzefarbenen Saxophon auf dem Zaun, grinsen stereotyp wie alle Massenartikel und verursachen als moderne Zaunreiter bei jedem Vorbeikommenden
ein Unbe-h a g e n.

Eine Antwort

  1. Christine schreibt:

    Grins, Barbara wenn\’s dann doch wenigstens echt deutsche Gartenzwerge wären!! Jetzt muss ich mir die doch glatt auch anschauen – sind mir noch gar nicht aufgefallen

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