Maisfelder

Verfasst am: 8. August 2004 von Barbara 1 Kommentar

Mannshoch steht der Mais auf den Feldern um das Dorf herum. Mannshoch, dunkelgrün und kerzengerade. Die Bauern, die die Beregnungsanlagen aufstellen, verschwinden darin völlig. Das hat etwas Unheimliches, Gefährliches. Von diesem grünen Meer geht ein mysteriöser Sog aus.
„Und dann verschluckte sie das Maisfeld.“
Stünde ein solcher Satz am Schluss einer Erzählung als „offenes Ende“, wüsste man, wie das zu interpretieren ist.
Manchmal sieht man ein langes Plastikrohr schwankend über dem Feld dahinschweben. Den Mann, der das Rohr trägt und über seinem Kopf und über die Pflanzen hinweg transportiert, sieht man nicht.

Wer in den Mais hineingeht, wird aufgeschluckt.
Hunde verschwinden darin, Radfahrer treten in den grünen Wald hinein, stellen ihr Rad ab und finden es später womöglich selbst nicht mehr, es sei denn, da ist ein Gang durchs Labyrinth getrampelt. Hier im Feld neben unserem Haus schlängelt sich durch den Mais ein solcher Pfad, der zum Brunnen und zum Elektrokasten führt.

Labyrinthe im Maisfeld als Touristenattraktion gibt es in Mecklenburg und Brandenburg tatsächlich. Hier würde natürlich kein Bauer sein Maisfeld für die Fremden als Labyrinth freigeben. Die Ehrfurcht vor dem Getreide und den Früchten des Feldes ist noch groß wie in alten Zeiten.

Aber ein Maisfeld bleibt nun einmal ein ideales Versteck für Verliebte, für die kleinen Lausejungen, für die Hunde, für die alte Bauersfrau, die ihren Nachbarn belauschen und bei einer Grenzverletzung ertappen will. Dann kommt sie, schwarz wie eine Vogelspinne, hervor und kreischt Zeter und Mordio.

Es sind nur wenige heitere Erinnerungen, die die Maisfelder in mir wachrufen.
Vielleicht finde ich das Geräusch erfreulich, wenn der Regen auf die lederartigen Blätter prasselt und rauscht.
Vielleicht amüsiert mich auch die Bewässerungsanlage, die sich dreht und alle paar Sekunden auf die Straße ihren Schwall abgibt. Dann muss man sich ausrechnen, wann und wie man zwischen zwei Güssen trocken seinen Weg fortsetzen kann.

Vielmehr aber erinnere ich mich an den strengen Uringeruch, der sich mit dem süßlichen Geruch der Maisblüten mischte und die Nacht erfüllte, die wir auf unserer Abenteuerfahrt durch das damalige Jugoslawien in einer üblen Kneipe verbringen mussten. Eine Opiumhöhle mit dunklen Gestalten und fremden Lauten. Wir hatten noch einen verwöhnten griechischen Studenten und einen einsamen, kranken Hippie mitgenommen. Und alle konnten nicht schlafen, aus Angst vor den grölenden betrunkenen Männern, die die ganze Nacht lärmend aus der Spelunke ins Maisfeld liefen und wieder zurück kamen, singend, torkelnd, bedrohlich.

Neulich zankte sich hier ein Bauer mit seiner Frau im Maisfeld. Zuerst hörte man nur seine harten Worte und als Antwort darauf ihre helle, sich überschlagende Stimme, ohne zu wissen, woher das kommt. Dann brachen die beiden plötzlich aus dem Feld hervor: er da hinten, sie hier vorne. Sie verließen die Schlachtreihen, sie lösten sich aus der lanzenstarrenden Armee und standen sich plötzlich völlig wehrlos und machtlos gegenüber, so klein, so ohnmächtig, so blöde. Zwischen den Maiskolben (Gewehrkolben), die wie aufgepflanzte Bajonette wirken, und vom Gegner durch die grünen Blätterwände unsichtbar gemacht und getrennt, hatten sie noch schreien und fluchen können. Jetzt aber wirkten sie nur noch lächerlich und schämten sich. Sie sagte noch grollend, halb beleidigt und kaum noch auftrumpfend: „Ist doch wahr, Mensch…“, er sagte gar nichts mehr.

Und eine andere beklemmende Geschichte fällt mir ein: Der „Fall“ der Tochter des frommen  Mendel Singer, aus dem Buch „Hiob“ von Josef Roth, die es im Maisfeld mit den feindlichen Kosaken aus der Kaserne trieb. Sie war eine Verlorene im mehrfachen Sinne, nicht nur, weil sie (sehr sinnfällig) im Maisfeld unterging und verloren war, sondern weil sie sich ehrlos mit gerade diesen Soldaten abgab, weil sie sich so billig verkaufte, weil sie die Eltern und den Glauben verließ und weil sie langsam dem Wahnsinn verfiel.

Eine Antwort

  1. Volkmar schreibt:

    Die Geschichte von dem steitenden Paar im Maisfeld, durch den Lanzenwald und die Maiskolben (aufgerichtete Bazookas?)  sicher voneinander getrennt, erinnert mich an die Geschichte von zwei Hunden. Die waren durch einen Zaun getrennt, kläfften sich fürchterlich an, fletschten die Zähne, liefen am Zaun hin und her, jeder auf seiner Seite. Plötzlich war der Zaun zuende, sie standen sich ungetrennt gegenüber. Da zog jeder den Schwanz ein und machte sich davon.

    Man kann ja auch im Berufsleben mal versuchen, so auf den Hund zu kommen. Es nämlich drauf ankommen zu lassen, den Mais wegzunehmen, wenn einer so fürchterlich droht. Es wird in den meisten Fällen sehr schnell die Luft aus der Blähblase rausgehen.

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