Wo man singt

Verfasst am: 8. Januar 2004 von Barbara 1 Kommentar

Gestern arbeiteten zwei junge Burschen in unserem Haus und bereiteten die Zimmerdecke für den Anstrich vor. Sie hatten sich ein provisorisches Gerüst gebaut, auf dem der eine herumturnte, ausbesserte, begradigte und die Abschlußleisten klebte. Der andere stand offensichtlich nur herum.

Den ganzen Vormittag hörte ich einen der beiden Handwerker singen. Es klang schön. Er sang Volkslieder, diese typisch portugiesischen Weisen, die ein bisschen fröhlich und zugleich ein bisschen schleppend und schwermütig sind. Welcher von den beiden mochte der Sänger sein?

Ich fand das wirklich schön. Es erinnerte mich an frühere Jahre, an die Zeit, als wir hier in den Ferien das Haus bewohnten und immer etwas ausbessern mussten. Die Handwerker, die unsere Fensterläden reparierten, eine Mauer bauten, eine Leitung legten oder den Brunnen gruben, lachten und sangen immer. Da war der alte Zimmermann Manuel Mandato, der alle Kirchenlieder kannte und vor sich hin schmetterte. Er ist vor zwei Jahren gestorben. "Die Antwort kennt ganz allein der Wind…" sang er mit einem portugiesischen Text und erklärte uns, das sei ein frommes Kirchenlied. Genau wie "El condor pasa…" und "Tränen lügen nicht". Inzwischen kenne ich ja die Hits, von denen der Kirchenchor behauptet, es seien alte portugiesische Melodien.
Ist "Butterfly, my butterfly…" als eine portugiesische Sakralmelodie eher dagewesen als der Schlager?
War das Ei eher da als die Henne?
Wer hat denn da nun von wem geklaut ?

Auch unser Maurermeister sang und pfiff den ganzen Tag. Und wenn er nicht sang, dann schnatterte er mit seinen Söhnen und Gesellen und lachte schallend. Dabei brachte er die tollsten Bauwerke zustande, schuftete, schleppte, machte keine Pause, vollführte halsbrecherische Balanceakte auf schwankenden Balken, nahm einen sehr geringen Lohn und flötete fröhlich "Maria, Mutter und Königin Portugals, dir schenke ich mein Herz…"

Als er vor 14 Tagen unser eingestürztes Dach wieder neu baute, sang er kein einziges Mal. Er pfiff nicht und lachte nicht mehr, er arbeitete mit 5 anderen Arbeitern wie besessen und baute in kurzer Zeit ein wunderbares neues Dach, aber er sang nicht mehr.

Niemand singt heute mehr bei der Arbeit wie früher. Meine Nachbarin beklagt das oft: "Früher haben wir auf den Feldern gesungen, bei der Ernte, beim Rebenschnitt, beim Mähen, beim Piniennadeln-Harken im Wald. Überall auf den Dörfern in Portugal hörte man die Menschen singen. In den Cafés sangen die Männer ihre Fados oder Spottlieder, auf den Hochzeiten sangen die Leute kleine Couplets, die Frauen saßen zusammen und sangen beim Maispellen, Bohnenpuhlen, Marmeladekochen, die Kinder sangen in der Schule – Portugal war ein singendes Land.

Selbst der Herr Pfarrer bedauerte neulich in seiner Predigt, dass heute in Portugal nicht mehr gesungen wird, weder singt das Volk Gottes seinem Herrn Loblieder noch singt man bei der Arbeit in den Häusern oder auf den Feldern. Er sagte, es tue ihm weh. Er sei ein alter Mann und er vermisse den Gesang. Er sagte das ohne Vorwurf oder Anklage. Manche haben vielleicht erwartet, dass er jetzt das Fernsehen oder die Discos anprangert, die Isolation, den Neid, die Besitzgier, den Kapitalismus und Materialismus. Nein, er sagte es ganz leise und sehr traurig: "Portugal singt nicht mehr."

Wer von den beiden Burschen sang aber nun in unserem Haus? Ich ging in die Räume und lauschte. Dann fragte ich: "Wer singt hier so schön?"

Der Ältere, der als Handlanger bei der Arbeit zuschaute, nahm seine Zigarette aus dem Mund und sagte: "Er da oben."
"Du singst schön, das gefällt uns", sagte ich.
"Danke", rief er von seinem Gerüst herunter und sang weiter.

Eine Antwort

  1. Töchterlein schreibt:

    "Frau Fitting pfeift wieder." Herr Grünhäuser, der Lagerist lacht mich an. "Wenn du pfeifst, dann ist die Arbeit gut. Du bist heute wieder so fröhlich"

    Ja, ich pfeife immer, wenns mir gut geht. Ich summe morgens unter der Dusche, summe in meiner Küche beim KAffeekochen, singe mit meinem Autoradio im Duett, pfeife auf der Arbeit (Frau Lang mag das summen nicht, aber im Lager hab ich freie Bahn). Und wenn ich abends zu Hause ankomme, schmeiße ich meinen PC an und singe bis die Katzen heulen.

    Ich habe schon immer gesungen. Wenn ich viele Jahre zurückdenke, dann denke ich immer an meinen Vater, seine Gitarre und all die schönen Lieder, die er, und die anderne, und wir sangen. Die meisten kann ich noch.

    Ich kann stundenlang singen. Mein Rekord im Dauersingen liegt bei acht Stunden oder sieben Liederbüchern. Ich singe von Rostok bis Schweden und solange, bis alle Mitreisenden sagen " sei doch endlich mal still"

    Ich werde garnicht müde dabei, nur manchmal etwas heiser. Singen gibt Kraft. Es hilft, wenn man traurig ist und zeigt, wenn man fröhlich ist.

    Ich will dem HERRN singen mein Leben lang, meinen Gott lobpreisen, solange ich noch bin.

    Ps 104,33

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