Zwischen den Jahren

Verfasst am: 29. Dezember 2003 von Barbara 1 Kommentar

Wir finden längst alle, dass dieser Ausdruck furchtbar blöd ist. Hannah konnte sich als Schülerin sehr darüber aufregen, weshalb die Familie sie dann ständig damit neckte.
Zwischen den Jahren – also, in dieser windstillen Ecke nach Weihnachten und vor Neujahr, wenn man noch so satt ist vom vielen Essen und träge vom Feiern – meint man, alles das erledigen zu können, was man sonst vor Weihnachten nicht schaffte.
"Zwischen den Jahren"  schafft man allerdings erfahrungsgemäß gar nichts. Außerdem haben alle Geschäfte und Büros und Ämter zu, die Handwerker sind im Urlaub und die Fabriken und Verlage machen Inventur. Zwischen den Jahren ist nix los.

Der arme Pastor, der "zwischen den Jahren" einen Gottesdienst halten muss, ist zu bedauern. Der Kirchenbesuch ist sehr dünn zwischen den Jahren. Da muss man sich etwas einfallen lassen, damit doch noch ein paar Leute herbeiströmen. Wir hatten damals einen großen Singe-Gottesdienst erfunden, wo die Gemeinde noch einmal alle schönen Weihnachtslieder singen konnte und sogar Wünsche äußern durfte, die der Kantor auf der Orgelempore sofort aufgriff und intonierte.

Von einem Pastor aus Mecklenburg weiß ich, dass er "zwischen den Jahren" keinen einzigen Gottesdienstbesucher vorfand, und Küster, Organist und Kirchenmäuse waren auch verreist, im Urlaub, fehlten unentschuldigt oder waren zwischen den Jahren abhanden gekommen. Da stand der arme Pastor ganz allein in seiner eiskalten Kirche vor dem Tannenbaum.

Und nun passierte hier im Dorf zwischen den Jahren das genaue Gegenteil: An diesem Sonntag zwischen den Jahren, der der "Familia Sagrada" geweiht ist und an dem man sich die Geschichte vom 12jährigen Jesus im Tempel erzählt, geschah das, was in Mecklenburg sicher noch nie passiert ist:

Die Kirche war rappelvoll, aber es kam kein Pfarrer.

Eigentlich ein wunderschöner Zustand.

Jeder Platz war besetzt, auf der Empore drängten sich die Gläubigen, der Chor stand in den Startlöchern und scharrte mit den Hufen, in der Krippe strahlte die Lichterkette und strahlte und erlosch, strahlte und erlosch, der Brunnen plätscherte silberhell, einige drehten sich verstohlen um, ob nicht vielleicht doch… Nein, der Pfarrer hatte seine Gemeinde vergessen.

Die saß nun still und artig da und wartete. Ein Bauer kam nach vorne und tuschelte mit dem Chorleiter, ob man nicht anrufen sollte. "Wir warten, er wird schon kommen", sagte der, " es ist ja noch nicht einmal eine halbe Stunde vergangen." (Und das ist für portugiesische Verhältnisse keine Wartezeit.)

"Wir können ja schon einmal für den Gottesdienst am 1. Januar üben", meinte er dann und spielte so lange den Refrain des unbekannten Liedes vor, bis die ganze Gemeinde mitsang.
Auch die Frau des Chorleiters kam nach vorne und fragte streng ihren Mann, ob sie nicht besser nach Hause gehen könne. "Nein, bleib hier, wir warten."

Wir warteten und sangen, wir warteten und sangen alle Strophen und lernten neue Lieder und summten mit und warteten. "Mach du das doch, Pastor", sagten sie zu Hagen. Das wäre die selbstverständlichste Sache der Welt gewesen. Aber Hagen wollte mal sehen, was so eine portugiesische Gemeinde in dieser Situation ohne Pastor wohl macht. Wir wunderten uns. Eigentlich fand ich es befremdend, fand es dörflich oder katholisch, dass weder der Chorleiter noch einer der Kirchenvorsteher und Katecheten die Leitung des Gottesdienstes übernahm. Der Ablauf ist doch allen bekannt, die Jugendlichen wussten ganz genau, was sie an welcher Stelle zu verlesen hatten. Aber sie saßen und warteten. Inzwischen war einer vom Kirchenvorstand in den Nachbarort gefahren, hatte dort eine der mexikanischen Schwestern aufgetrieben und brachte sie an, um die Messe zu halten.

Jetzt erst ging der Küster an den Altar und zündete die Kerzen an. Es waren 40 Minuten vergangen.

Und wenn du jetzt denkst, es wurde irgend etwas gekürzt oder ausgelassen an diesem "Fest der Heiligen Familie", dann irrst du dich. Jetzt wurde die ganze Liturgie eisern durchgezogen. Wir sangen alle vorbereiteten und schon längst abgesungenen Lieder noch einmal mit allen Strophen, hörten geduldig alle Lesungen, gingen alle zum Abendmahl und am Ende des Gottesdienstes in endloser Reihe nach vorn, um das Christkind zu küssen.
"Zwischen den Jahren" ist in Portugal eben auch etwas ganz anderes als woanders.

Eine Antwort

  1. Töchterlein schreibt:

    Es war Konfirmation. Die Gemeinde saß in der kleinen Alzeyer Kirche und sang das erst Lied. Der Pfarrer leitete den Gottesdienst ein und dann …

    dann sagte Er:"Ich  muß jetzt dringend gehen", zog seinen Talar aus und gin raus. Einfach so. Mitten im Gottesdienst.

    Alles saß da. Und – nichts. Leises Getuschel. Immer noch nichts. Nach zehn Minuten wurden die Leute unruhig.

    Da ging die Tür wieder auf. Und der Pfarrer kam zurük, stellte sich vor den Altar, schaute den Herr Jesus, der da über der Kanzel hin an uns sagte: " warum? Warum lieber Herr Jesus muß ich jetzt hier Dienst machen?! Warum ist das jetzt wichtiger als anderes?"

    Und dann erzählte er dem Herrn Jesus, wie oft die Konfirmanden gefehlt haben wegen allem Möglichem. Man hatte ihn sogar gebeten die Konfirmation wegen einem Vereinsfußballspiel zu verschieben.

    Wie oft musste er von den Eltern hören, daß die Wochenendefahrt zum champingplatz wichtiger ist, als der Gottesdienst.

    Es war ein eindrucksvolles Gespräch – eine Predigt, über die das ganze Dorf sprach und die uns noch lange in Erinnerung bleibt. Viele sagten danach "Er hat recht, er hat wirklich recht."

    Ob der Giottesdienstbesuch seitdem bei uns gestiegen ist willst du wissen.

    Ist das wichtig?

    Was ist schon wichtig?

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