1. Fortsetzung

Verfasst am: 24. Juli 2003 von Barbara 1 Kommentar

Nach unserer Rückkehr von der großen Reise begannen die Chorproben für das Goldene Priesterjubiläum, und wir schmetterten probehalber nächtlich "Hosianna" und "Gloria" für den Sacerdote, den Priester. Das Eingangslied hieß "Salve, salve, du Auserwählter des Herrn!" und verwirrte uns in seiner theologischen Aussage doch ein wenig, zumal wir solche Jubelfeiern für die Diener Gottes gar nicht so recht gewohnt sind.

Als der Amtsbruder in Porto uns einmal zum "Tag des Pastors" und Hagen zur Ansprache oder Predigt einlud, wussten wir nicht, was das für ein Tag sein könnte. Vielleicht ist es eine Zusammenkunft aller evangelischen Pastoren, überlegten wir, oder vielleicht ist es der Sonntag, an dem über den neutestamentlichen Text von "Jesus, dem Guten Hirten", vom "Bom Pastor", gepredigt wird. Es war dann aber der Ehrentag, an dem die Gemeinde ihrem Pastor und seiner lieben Frau dankte für alle Verdienste und treue Arbeit. Sie beschenkten, ehrten und bejubelten ihn mit Gesängen und Reden und Geschenken und einer riesigen, fromm dekorierten Biskuittorte.
Dergleichen Feiern hatten wir eigentlich nie erlebt, eigentlich auch nur in Schierstein erfahren, und eigentlich überschwänglich, intensiv und schmerzlich nur beim Abschied. Und danach – naja, kannste vergessen…

Der Padre des Nachbarortes kam dann eines Tages vorbei ( Vorher waren wir "ja immer in Brasilien"!) und überreichte uns persönlich die Einladung zu seinem Priesterjubiläum, die wir gerührt ob der Freundlichkeit und Liebenswürdigkeit auch annahmen. Natürlich würden wir "in diesem Falle"  gerne kommen und auch an dem Festmahl teilnehmen. "Ihr kommt also doch, das ist recht so", sagten die Kirchenvorsteher unseres Dorfes, als sie davon hörten, hoch zufrieden, denn nun war ihre Mission erfüllt.

Zur selben Zeit erlebte mein Bruder in Frankreich, wo er als "Emeritus" noch kräftig in der Reformierten Kirche mitwirkt, eine fast parallele Geschichte, die ich hier jetzt wiedergeben werde, damit man unser Staunen und Verwundern besser versteht.

Volkmar schreibt:

Douai, 19.7.03
"Meine Nichte, Pastorin in Mecklenburg, bat mich, eine Unterkunft für ihre Jugendgruppe zu besorgen. Man wollte Frankreich und vor allem Paris kennenlernen. Ich machte frühzeitig ein Heim bei einer Pfadfindergruppe fest, alles war vorbereitet bis in die Details, und vierzehn Tage vor Ankunft der Gruppe annullierte man die Abmachung. Über die möglichen Gründe will ich mich nicht auslassen. Was tun? In meiner Not rief ich den katholischen Priester an. Der bot mir sofort, als Pannenhilfe, sein Gemeindezentrum und Luftmatratzen an, gab mir weitere Adressen, um noch etwas Besseres zu finden. Gleichzeitig fragte er mich, ob ich denn für den morgigen Sonntag eine Einladung bekommen hätte. Zwei junge Männer würden in seiner Kirche vom Erzbischof aus Cambrai zu Priestern geweiht.
Soll ich denn im Talar kommen? – Natürlich! Du setzt dich mit uns allen in den Chorraum.
Bruno, der katholische Kollege, ist Belgier, Flame, ein weitgereister Mann mit einem entsprechend weiten Horizont. Auf seine spontane Einladung sagte ich ebenso spontan zu, seine Solidarität bei der Pannenhilfe ließ gar keine andere Möglichkeit übrig.

Am Nachmittag ging ich also in die riesige Collégiale St. Pierre von Douai, quälte mich durch etwa 2000 Menschen bis zur Sakristei, traf dort die aus dem Ökumenekreis bekannten Kollegen und stand vor einer riesigen Gestalt, dem Erzbischof François Garnier. Der war natürlich nicht informiert, ließ sich aber seine Überraschung nicht anmerken, als die Priester von Douai mich wie selbstverständlich vorstellten. Ich selber stellte mich als „Vertreter der Eglise Universelle“ vor, der „allgemeinen katholischen Kirche“, was Monseigneur mit einem anerkennenden Lächeln honorierte. Je mehr Priester ich sah, umso heikler empfand ich allerdings das ganze Unternehmen. Schließlich ist eine Priesterweihe wohl das Herzstück innerhalb der katholischen Kirche, und wahrscheinlich nirgendwo sonst werden die Trennlinien zu den Evangelischen wohl stärker sichtbar als dort, wo sich Amts- und Kirchenverständnis in solch massiver Form zeigen. Was will also ein Protestant dort? Hätte ich eine offizielle Einladung rechtzeitig vorher bekommen, was auszuschließen ist, ich hätte sie wahrscheinlich nicht wahrnehmen können, schon weil ich keine Erlaubnis von „höherer“ Stelle dazu bekommen hätte. Aber nun war das Ganze keine „vernünftige“ bürokratische kirchenrechtliche Angelegenheit, sondern die Herzensentscheidung von zwei „Spontis“, und Herzensentscheidungen sind ja immer richtig. Wie Blaise Pascal in den „Pensées“ sagt: « Le coeur a ses raisons que la raison ne connaît point! » – Das Herz hat seine Gründe, die die Vernunft nicht kennt! Ich fragte den Erzbischof, weil mir nun doch ein wenig merkwürdig wurde, ob ich denn außer meiner Präsenz eine Funktion hätte, und er erwiderte humorvoll, ich sollte die ganze Zeit mit ihnen beten, das sei doch eine ganze Menge.

Dann zogen wir ein, etwas über 60 Priester, alle in Weiß, dazu Ministranten, Mädchen und Jungen, alle in Weiß, etwa 100 insgesamt, ich als einziger in Schwarz, nicht zu übersehen, wie ein Pinguin unter lauter Lachmöwen. Vorbei an der Menge, sogar an einem unserer Nachbarn, der früher gefragt hatte: „Protestant? Was ist das denn?“, und der nun auch freundlich dreinblickte.

Fast drei Stunden Gottesdienst. Ich habe selten so viel Solidarität empfunden oder erfahren. Natürlich habe ich nicht an der Kommunion teilgenommen, obwohl mich ein älterer Priester dazu einlud. (Ein jüngerer achtete darauf, dass ich keinen „Fehler“ machte.) Mein Nachbar kam zurück vom Altar und sagte: On reste quand même en communion! – Wir bleiben trotzdem in Gemeinschaft! Natürlich bin ich nicht mit nach vorne gegangen, um die neuen Priester mit einzusegnen. Über das Trennende ließe sich theologisch einiges sagen, zum Beispiel über die Anrufung der fast 100 Heiligen. Ich habe da nicht mitgesungen, sondern nur die Menge der französischen (und fränkischen) Heiligen bestaunen können.

Der Höhepunkt kam für mich, als ich keinen mehr erwartete. Nach dem Schluss-Segen, kirchenrechtlich also bedenkenlos, begrüßte mich der Erzbischof öffentlich mit Namen und Titel: Ich habe die ganze Zeit mit ihnen zusammen gebetet. Darauf gab es einen sehr sehr langen Applaus, sowohl im Chorraum als auch im Kirchenschiff. Der Applaus galt sicher nicht (nur) mir, sondern vor allem der sichtbar gewordenen Solidarität zwischen den Konfessionen, die sich auseinander gelebt haben.

Für mich erhebt sich die Frage, was möglich ist in einer Gesellschaft, die durch viele Zwischenwände zertrennt ist. Gerade die Römisch-Katholische Kirche hat ja einen Zaun um sich herum errichtet, sie stellt ein „geschlossenes System“ dar. Aber, so lautet ein alter jesuitischer Satz über diesen Zaun: So viele Zaunlatten, so viele Zwischenräume. Der Erzbischof hat die Zwischenräume benutzt. Er hätte ja auch ganz anders handeln können. Der letzte ökumenische Kirchentag in Berlin hat ebenfalls versucht, die „Freiräume“ aufzuspüren. Dass es die Zaunlatten gibt, ist uns allen inzwischen mehr oder weniger schmerzlich bewusst. Dass es dazwischen Durchlässigkeit gibt, ist eine neue Erfahrung.

Anschließend ging ich zur Adresse, die Bruno mir gegeben hatte, einer katholischen Schule mit Internat. Die hatte gerade Ferien, und der Direktor gab mi
r ein ganzes Haus für die Mecklenburger, in der Stadtmitte gelegen, kostenlos."

Eine Antwort

  1. Eva Hundhausen schreibt:

    Guten Tag,
    bitte um Mitteilung eines Ansprechpartners in Douai betr. geplanten Besuches.
    Mit Dank u freundl Grüssen
    Eva Hundhausen

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