Die Kunst der Dichterehrung

Verfasst am: 20. Mai 2003 von Barbara Keine Kommentare

Lieber Claudio,
am Samstag konnten wir wieder einmal mehr über die Kunst der Portugiesen staunen, einen Dichter zu verehren. Wir haben nun schon ein paarmal miterlebt, wie ein neues Buch vorgestellt wurde, wie im März der "Tag des Gedichts" begangen wurde, wie Gedichte rezitiert wurden und wie man in Portugal um die Schriftsteller bemüht ist. Unvergesslich die "Kulturnacht"  anläßlich der Herausgabe von Fatima Bicas Gedichtbändchen, unvergesslich die auswendig deklamierten Gedichte von Dona Rosindas Gruppe, nirgendwo so heftig wie hierzulande die Bewunderung der Dichter und ihrer Gedichte.

Am Samstag wurde das druckfrische Gedicht-Bändchen "Traurige Vögel von Babylon" von Armor Pires Mota vorgestellt.
Am Samstagnachmittag um 16.30 Uhr in der Stadtbibliothek von Oliveira do Bairro.

Wir folgten der stilvollen Einladung auf Büttenpapier, wohl wissend, dass es erst um 17.15 beginnen würde. Die Damen der Bibliothek, chic wie immer, hatten die Räume mit herrlichen Gestecken aus lachsfarbenen Rosen und zartvioletten Lilien geschmückt. Gestecke, so flach gehalten, dass die Redner darüber hinausragten, vor allem rein körperlich, – geistig sowieso. In dem Saal war jeder Platz besetzt, einige Zuhörer standen am Eingang.
Die Direktorin rief die prominenten Gäste, der Rangliste folgend, an den Podiumstisch: den Bürgermeister, die Kulturreferentin, den Vorsitzenden des Schriftsteller-Verbandes, die liebenswürdige Referentin Professora Maria Odete Dias, die das Buch würdigte, und den Dichter und Redakteur des Jornal de Bairrada selbst.
Es ist sehr feierlich, wenn die Herrschaften so selbstbewußt und von ihrer Wichtigkeit überzeugt, am Rednertisch Platz nehmen. Sie sitzen da äußerst dekorativ mit würdevoller Haltung und todernsten Mienen, bewegen sich kaum und zeigen keinerlei Reaktion. Manchmal schreibt einer oder eine ein Wort auf, ein sicher sehr bedeutungsvolles, das dann in seine Rede einfließen wird. Überhaupt ist alles sehr bedeutungsvoll. So sitzen sie da. Manchmal gießt sich jemand einen Schluck Wasser in ein klares Glas und führt dieses zum Munde. Auch diese Geste ist sehr bedeutungsvoll. "…führt es zum Munde", wie gesagt.
Ich könnte diese schönen Menschen immerzu betrachten, sie halten so still wie Ölgemälde, ihre Bewegung ist offenbar nur innerlich.

Am Samstag nun wurde nach einer Begrüßung aller Honoratioren die Rezensentin mit einer langen Liste von Titeln und Prädikaten und Verdiensten vorgestellt. Man erteilte ihr das Wort, und sie hob an, über die Gedichte zu sprechen, was sie mit viel Verständnis tat. Eine zierliche ältere Dame, die zwischen den Zeilen zu lesen imstande war.
Applaus.
Dem Dichter wurde das Wort erteilt.
Applaus.
Jetzt hörte man Dona Rosindas Stimme, die eines der Gedichte vortrug. Ihr folgten mehrere junge Mädchen, eine Frau und ein Jüngling, die, überall im Saal positioniert, sehr gut artikulierend die Gedichte "Traurige Vögel von Babylon" vortrugen. Herr Mota hat eine außergewöhnliche, reiche Sprache, es ist immer sehr schwierig, ihn zu übersetzen. Trotzdem versteht man gut, was er da sagt, auch wenn es wörtlich übersetzt unausspechlich ist und vielleicht heißen würde: "… Augen werden Steine in Tränen meines Landes".
Wer übersetzt schon wörtlich ein Gedicht? Und wer kann die wortgewordene portugiesische Saudade in deutschen Vokabeln einfangen und fassen? Da müsste man schon Rilke sein und "Portugiesische Sonette" nachempfinden können.

De la musique avant toute chose!

Es folgte ein Gedicht, vom Verfasser selbst vorgetragen. Sehr leise, sehr zurückhaltend.
Dann sprachen der Bürgermeister und die Kulturreferentin, jeder jeden auf seine Weise huldigend und jedr nach vorgeschriebenen Regeln des Lobes voll und schließlich der Dichter seinen Dank aus. Er teilte mit, dass  an diesem besonderen Tag jeder Zuhörer ein handsigniertes Exemplar von ihm geschenkt bekomme. Das verteilte er mit strahlendem Lächeln und portugiesischer Umarmung: Küsschen rechts und Küsschen links.

Vor der Bibliothek sprühte der Springbrunnen, die Nachmittagssonne schien, die hundert glänzenden Staatskarossen fuhren wieder ab …
und der Manager der Deutsch-Portugiesischen Agencia Cultural vereinbarte mit den Damen der Stadtbibliothek die nächste Buchvorstellung und Bilderausstellung in dem Saal, wo es noch immer keine Galerieleiste gibt.

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