Buchmesse in Vagos

Verfasst am: 10. Mai 2003 von Barbara 1 Kommentar

Lieber  Claudio,

am Samstag, 10. Mai 2003,  ging die erste Buchmesse in Vagos zu Ende. Das war ein atemberaubendes Erlebnis. Für mich ganz besonders, weil meine schreckliche Grippe noch nicht ausgestanden war. Mit Fieber und Schüttelfrost und Hustenanfällen musste ich aber immer wieder mal aufstehen und mich in dem Zelt und bei den Veranstaltungen  als Heimatdichter sehen lassen. Ich kam mir vor wie ein altes Zirkuspferd, das bei seinem Trab durch die Arena total seine Gebrechen vergisst und Purzelbäume schlägt. Aber hinterher, o weh.

Zu unserem großen Staunen hatte der Kulturreferent von Vagos auf das Plakat gesetzt :
Große Buchpräsentation und Autorenlesung mit Barbara Seuffert
am Dienstag, 6. Mai um 21 Uhr.

Das stand da, und  Hagen fragte ganz überrascht: "Und wie stellen Sie sich das vor?"
"Nun", meinte der Kulturverantwortliche, "Sie haben das doch schon einmal mit Professora Rosinda gemacht, fragen Sie die einmal. Das war doch im letzten Jahr so ein tolles Ereignis in der Stadtbibliothek in Oliveira do Bairro und auch hier in Vagos. Wie das nun hier abläuft, wissen wir auch nicht so recht. Es findet ja zum ersten Mal so etwas in Vagos statt."

Wir suchten also Professora Rosinda da Oliveira auf und baten um Rat und Hilfe. Zunächst wies sie uns darauf hin, dass die beiden Chöre nicht am Anfang des Abends singen sollten, weil danach erfahrungsgemäß kein Zuhörer mehr zur Autorenlesung bleibt. Sie selbst habe übrigens leider furchtbar viel Arbeit, organisiere eine Reise mit ihrer Theatergruppe und probe für verschiedene Auftritte, sei aber bereit, die Präsentation zu übernehmen, wenn kein anderer das mache.

Wir fuhren zu Doutora Fatima Bica und überredeten sie, uns als Moderatorin zu helfen, denn sie hat ja nach ihrer Reportage über unser Haus in Carregosa und nach ihrem bemerkswerten Kulturabend in Mira den totalen Durchblick,  kennt mein Curriculum und nennt mich auch nicht immer "uma autora polaca" wie die anderen Redakteure. Und nachdem wir das vorläufige Programm schon mal abgesprochen hatten, fragte ich nach dem großartigen Deklamator, der mich auf  Fatimas Dichterabend am 1.Februar 2003 in Mira so begeistert hatte. (siehe "Mails aus meinem Dorf: Der Rezitator") Um es kurz zu machen: Er sagte zu!

Jetzt war also die energische Fatima am Werk. Sie telefonierte mit dem Magistrat in Vagos, man möge bitte Bücher von mir kaufen und sie an die Zuhörer verteilen und eine kleine Party veranstalten. Die Werbung übernahm Hagen und verteilte überall Handzettel und Einladungen und hängte Plakate auf und redete, redete… (Leider, ach, so vergeblich…)

Die Eröffnung der I. Feira do Livro war am Samstag, 3. Mai um 15 Uhr.
Es spielte die Feuerwehr-Band, es wurden Reden gehalten, die Dichter des Kreises Vagos versammelten sich und hatten viel Zulauf. Ich mit meinen 3 portugiesisch übersetzten Büchern stand etwas deplatziert herum und "hustete allen etwas", aber:  "Wat mutt, mutt" – "Denksere = tem que ser" würde Arcindo sagen.

Inzwischen sind 3000-4000 Schüler durch die Buchmesse geschleust worden, es fanden viele Theateraufführungen statt, Chöre und Orchester stellten sich dar, sogar die Erste Versammlung aller Autoren des Bezirks  wurde ins Leben gerufen. Zu diesem PEN-Club gehöre ich nun auch und bin doch kaum der Sprache mächtig. So kann ich nie richtig meinem Verwundern Ausdruck geben, dass man hier so freundlich und tolerant und europäisch denkt und bereit ist, eine Hergelaufene in den Dichterolymp aufzunehmen.

Und dann der tolle Kulturabend!
Es begann tatsächlich um 21.45 Uhr, nur 45 Minuten verspätet und nachdem der Chor von Vagos die Podiumsbühne umgebaut hatte. Sie sangen 5 Lieder, kultivierte Saudade. Ich verstehe gar nicht, warum man bei Liebesliedern und Gospels so schmerzlich-traurig sein muss.
Dann wurden in bewährter Manier die Prominenten auf die Bühne gerufen und nahmen am Rednertisch Platz. Der Bürgermeister hielt eine sehr persönliche verständnisvolle Rede, er wundere sich, dass eine Schriftstellerin 3000 km weit reist und sich hier niederlässt und etwas für die Kultur des Ortes tut. Wie er das so sagte, kam es mir auch erstaunlich vor.
Der Kinosaal war voller Zuhörer, nun ja, die beiden Chöre… Aus Carregosa war außer den schönsten Mädchen des Dorfes, die wir als Mitwirkende engagiert hatten, Clara und Martina (mit ihrer Mutter Christine) nur Toni Rocha gekommen.  Meine Nachbarinnen konnten nicht, weil ihr Schwein in dieser Nacht Ferkel warf, sie den ganzen Tag Mais gepflanzt und Kartoffeln gehackt hatten… Und einige wollten nicht, weil der Bürgermeister von Vagos einer anderen Partei angehört.
Fatima erzählte launig, wie Spinat aufs Dach, bzw. Barbara nach Carregosa kommt, Herr Machado Lopes mit der schwarzen Coimbra-Kappa trug einfühlsam meine Fischer-Geschichte vor, dann lasen wir abwechselnd und schön inszeniert einige Textproben, bei denen das Publikum immer fröhlicher mitging, so daß ich dem Fass die Krone aufsetzen (!) konnte mit meiner "Zahnstocher"-Geschichte.
Schließlich trug der schwarz gekleidete Chor von Sto. Antonio-Vagos 3 Lieder vor, auch so finster-trübe-wehmütig. Aber danach stürmten alle an den Dichtertisch und streckten ihr Exemplar zum Signieren hin: 100 "Portugiesische Tagebücher" hatte das Rathaus (zum Billigstpreis) erworben und verteilt. Und ich schrieb ohne Ende:  Para Antonio, Para Odete, Para Anabela, para Lucy und Manuel und Maria Ana und Paulo… mit einem Zahnstocher für jeden männlichen Leser.

Dann war es schon 12 Uhr, und wir gingen in das kleine Lokal am Kirchplatz, das von vorne so unscheinbar aussieht, aber hinten weitläufige, festliche Säle hat, in denen die Tische aus feinste gedeckt waren mit erlesenen Köstlichkeiten und allen möglichen Getränken, mit Krabben und Törtchen, Schinken und Trauben, und alle speisten und tranken und sangen und scherzten und waren äußerst vergnügt – bis nachts um 2 Uhr. Und Herr Machado Lopes, der Archäologe ist und nebenberuflich Kinder mit Hippotherapie behandelt, dieser wirklich wunderbare Mann und "Pferdeflüsterer", saß mit seiner hübschen Frau Noemia an einem der Tische, bestellte einen geschälten Apfel und Melonenscheiben und verspeiste sie in vornehmster Haltung mit vollendeter Grazie.

Eine Antwort

  1. Heinz schreibt:

    Und jetzt gibt es schöne Fotos zu sehen… unter "Fotos" zu finden

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