Literaturcafé

Verfasst am: 5. Januar 2003 von Barbara Keine Kommentare

Lieber Claudio,

auch im neuen Jahr  hat sich in dem alten Café nichts verändert. An die Fenster hat man zwar "Boas Festas" gesprüht und über den Großbildschirm des Fernsehapparates eine Girlande aus künstlichem Tannengrün gelegt, aber aus dem Dornröschenschlaf ist das Café deswegen noch lange nicht erwacht. Müde und verträumt hängt ein nettes Servierfräulein hinter dem eichengeschnitzten Tresen und bewegt sich schlafwandlerisch hin und her, wenn dann doch einmal jemand ein Tässchen Kaffee bestellt. Die Preise kennt die Portugiesin genausowenig wie ihr Angebot an Kuchen. Man fragt lieber gar nicht, sonst schreckt sie wie ein Reh auf und läuft am Ende noch davon.

Das Café erinnert mich so an die Wiener Cafés oder die Dichtercafés in Prag, obwohl ich die noch nie besucht habe, aber aus den Biographien von Kafka und Trakl und deren Zeitgenossen kenne ich diese Caféhäuser wohl, kann mir das alles so vorstellen.

Als wir das Café zum ersten Mal betraten, um uns nach einer langen Wanderung durch den Park von Bussaco ein bisschen auszuruhen, war es, als tauchten wir in eine vergangene Ära ein. Die Zeit war hier einfach stehen geblieben.

Der Salon hat eine 6 Meter hohe edle Stuckdecke, kühlen Marmorfußboden, riesengroße unterteilte Fenster, einen altmodischen dunklen Bar–Ausschank aus Eichenholz mit gedrechselten Säulen, verstaubten Likörflaschen vor dem Spiegelregal und einer anachronistischen Kasse, es gibt ein stilvolles Lavabo mit Bidet und kupfernen Handtuchhaltern (zwei Hände halten eine Stange für das Handtuch), zierliche Bestuhlung (ehemals Thonetstühle, jetzt Plastiksitze auf Chrombeinchen), verblasste Reproduktionen der Musen im Jugendstil von Mucha an den Wänden zwischen den Fenstern, Kilometertal-euer-urpokal, und über allem dieser Kaffeeduft von stark gebranntem brasilianischem Kaffee. Alles wirkt verblasst, Jugendstil, Reproduktion, leise, altmodisch, patinabehaftete Noblesse, aber original verträumt, verstaubt und gar nicht ganz wahr.

Im Sommer sitzen ein paar Kurgäste herum, rühren stundenlang das Tröpfchen Kaffee mit 2 Löffeln Zucker um, lesen die Zeitung, schauen mit hochgezogenen Augenbrauen vorwurfsvoll und doch gleichgültig und desinteressiert auf jeden neu Eintretenden. Das ohnehin schon leise portugiesisch genuschelte Gespräch erstirbt im Gemurmel und wird verschluckt von der lautlosen Vergangenheit.

In dieser Atmosphäre enthüllte uns Ralf einmal seine Abenteuer im Jahrhundertsturm LOTHAR mit einem weiblichen Wesen, das wie Otto Waalkes aussah, wie er sagte. Wir haben uns schon viele Geschichten dort erzählt. Ich habe immer daran gedacht, einmal mit mit Dichterkollegen, mit Rezensenten, Lektoren, mit unseren Übersetzern und meinen Verlegern dort ein Symposion abzuhalten. Es ist eine unvergleichlich anregende literarische Atmosphäre. Ich würde so gerne einmal erleben, wie in diesem unvergleichlichen literarischen Café auch bei anderen die Stimme, der scharfe kritische Geist, die spitze Zunge, der Widerspruch gedämpft werden und im leisen vornehmen Gemurmel erlöschen. Besänftigt von dieser gleichmütigen  Stimmung, die keine Uhr und keinen schnellen Herzschlag zu kennen scheint.

Und einmal wollte ich mit unserem jungen aufsehenerregenden Hund dort wie eine Diva (Sonnenbrille, Hut) auftreten, um mit Helga, Bernharde und Tochter Barbara einen Galão und eine Nata einzunehmen  - ein Auftritt, aus dem nichts wurde, weil sich der Hund auf den Bauch legte und nur mühsam als Bettvorleger, alle Viere von sich gestreckt, hinter mir her zerren ließ.

Nein, Auftritte kann man im Literaturcafé nicht inszenieren, aber –sieh selbst. Komma mit.

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