Xila-Konfitüre

Verfasst am: 21. Oktober 2002 von Barbara 2 Kommentare

Lieber Claudio, jahrelang habe ich mich gedrückt vor den Annäherungsversuchen einer alten einsamen Nachbarin, die mich immer mit einer anderen Deutschen verwechselt und eigentlich nur (über mich) an Hagen herankommen und mit ihm reden will.

Früher einmal war es ihr gelungen, mich in ihre Küche zu zerren und mir irgend welche gruseligen Dinge zum Essen zu geben.
„Möchtest du eine xila?“ fragte sie ständig. Aber ich will keine xilas, das sind so merkwürdig faserige Kürbisse, die wahnsinnig wachsen und sogar schwer in den Bäumen hängen, dass die Äste abbrechen. Ich habe 40 xilas im Garten, was soll ich damit?
„Du kannst wunderbare Marmelade daraus bereiten“, sagte sie.
„Ich weiss nicht, wie man das macht“, wich ich aus.
Sie erklärte mir umständlich und immer näher rückend das Rezept.
„Ich habe leider keine Zeit“, flüchtete ich mich in Ausreden.

Nun klopfte es kürzlich ans Hoftor, und die Nachbarin kam mit einem Körbchen voller Nüsse für den Pastor. Dann lupfte sie ihr Tüchlein und holte eine prächtige xila hervor. „Ich werde dir jetzt zeigen, wie man das macht“, sagte sie. „Wo kann ich mir die Hände waschen?“
Sie nahm den Kürbis und warf ihn zweimal auf die Erde, damit sich innen die Kerne lösen. Dann brach sie ihn auseinander.
„Niemals ein Messer nehmen“, erklärte sie und holte das Fleisch mit den Kernen heraus. „Immer alles mit den Fingernägeln machen.“
Sie hatte sehr schwarze Fingernägel, die bei der Arbeit aber immer sauberer wurden. Überhaupt war alles an ihr schwarz, ihre Kleidung, ihre Haut, ihr Kopftuch, ihre Augen. Ich stand neben ihr und wusste wirklich nicht, was ich denken sollte, ob ich diese schwarze Witwe schrecklich oder lieb finde, ob ich Angst oder Grausen oder Sympathie empfinden sollte.
Sie pries die köstliche xila in höchsten Tönen und kratzte dabei emsig mit den Fingernägeln die Fasern des Fruchtfleisches ab, die sie in einen Kochtopf warf. Sie arbeitete stundenlang und erklärte mir dabei alles mögliche, nein, helfen solle ich nicht, das könne ich ja sowieso nicht, ja, Xilakonfitüre sei das Beste, das sei auf vielen Torten hierzulande die Glasurmasse…

Ich weiß nicht, warum ich immerzu an die schauerliche „Regenballade“ vom Schnatermann dachte, der da grünlich-moosig rohe Fische zerbeißt und lebendige Aale kaut… Mir war so schlecht. Und ich lächelte hilflos.

3 Stunden lang.

Nach 3 Stunden (wer opfert denn heute noch 3 Stunden Arbeitszeit für eine Nachbarin wie mich? Also, ich bin immer noch ganz verwirrt ….) hatte sie etwa 2 kg Fasern zusammengekratzt, gab mir genaue Anweisungen und musste leider heimgehen. „Also, abwiegen, Pfund zu Pfund Zucker dazu, auf halber Flamme kochen und rühren, rühren, rühren… Und denke daran: 4 Stunden kochen lassen und rühren.“ Sie zeigte mir 4 knochige Finger (Tatsache, die Nägel waren ganz sauber geworden!) und wiederholte: „4 Stunden kochen lassen!“

Was ich gemacht habe?
Ich habe mich erst einmal erholt und meine Gedanken sortiert, und spät abends habe ich (Pfund zu Pfund, von wegen – ) die Xilafasern zur Hälfte eingekocht (in der Hoffnung, sie verkohlen und verdunsten) und mit der entsprechenden Menge Gelierzucker aus Deutschland im Schnellverfahren Konfitüre hergestellt.

Die ist sogar was geworden.
Sie ist köstlich geworden, du wirst dich wundern!

2 Antworten

  1. Volkmar Jung schreibt:

    Ich sitze gerade an einem uralten langsamen Computer in Eriwan/Armenien, wo das Internet im Moment nicht zusammengebrochen ist. Stichwort Konfituere: Die kauften wir uns neulich, Feigenkonfituere, aus Fruechten der Ararat-Ebene, direkt vor unserer Haustuer. Stellte sich aber als Kompott heraus: dicke Fruechte in schwerem Sirup.
    Das Sprichwort: Mit der Kultur ist es wie mit der Konfituere. Je weniger man davon hat, umso mehr schmiert man sie breit! – heisst hier: Je weniger in einem Glas drin ist, umso hoeher klingt es. Das scheint mir aber sehr mit Wodka-Trinkgewohnheiten der Russen zu tun zu haben, die hier immer noch sehr praesent sind.
    Wie schmiert sich eigentlich faserige Xila-Konfituere? Isst man die wie Spaghetti?
    Bete Gruesse vom Ararat, bzw. von seinem Fuss.
    Volkmar

  2. Barbara schreibt:

    Heute habe ich noch einmal Doce de Xila gekocht, aber auf meine Art, schnell und rationell und mit modernen Hilfsmitteln. Für das Herauskratzen nahm ich statt meiner Fingernägel die Spaghettikelle, da ging es ruck-zuck, und in 3-4 Minuten war die Konfitüre mit deutschem Gelierzucker fertig.
    Sicher schmeckt sie jetzt ganz anders, weil der Zeitaufwand und die "original Handarbeit" fehlen. Ei, was wird Dona Ana dazu sagen?
    Sie sagt (Ich höre es schon!): "Non presta para nada!" – "Das taugt nix."

    Aber wer sagt denn, dass ich mein Doce nicht auch mit Liebe zubereitet habe?

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