Domestiken

Verfasst am: 17. Oktober 2002 von Barbara Keine Kommentare

Lieber Claudio,
wir waren neulich bei einer alten Dame zum 5 Uhr-Tee eingeladen. Sehr hoheitsvoll hatte sie geruht, uns zu einem Kreis deutscher Gäste hinzuzubitten. Wir nahmen uns ein größeres Auto mit Chauffeur und fuhren alle gemeinsam zu der Quinta, auf der die Deutsche schon seit ihrer Kindheit lebt. Es ist die Villa ihres Großvaters. Alles erinnert an "die gute alte Zeit", in der der deutsche Kaiser mit Heer und Marine noch residierte.

Die Fotografien und Urkunden,
die vergilbten Gardinen,
der Staub auf den getrockneten Sträußen und Kränzen,
die angeschlagene Teekanne aus chinesischem Porzellan,
die durchgesessenen Polstermöbel,
die seidenbezogene Chaiselongue,
die Gästebücher auf dem Flügel
und vor allem der feine Duft im ganzen Haus.

Der Duft stammte von einem Kampferbaum im Park, einem mächtigen Baum mit ausladender Krone und großem Wurzelwerk. Die alte Dame führte uns zuerst durch den Park, für den früher mehrere Gärtner verantwortlich waren und der heute verwildert. Sie zeigte und erklärte uns die alten Bäume und die Pflanzen, ließ uns an den Kampferblättern schnuppern, brach Zweige ab und hielt uns auch das duftende Holz hin: da war wieder dieser alte feine Geruch, der mich an zwei Großtanten erinnerte, die manchmal, in so eine Wolke gehüllt, zu Besuch kamen. Kampfer. In meinen kindlichen Vorstellungen  ging dieser Name eine innige Verbindung mit dem Begriff Krampfadern ein, ich dachte als Kind immer, das hänge zusammen.

Nach dem Spaziergang durch den Park, auf dessen Wegen man sehr auf die Hinterlassenschaften der Hunde achten musste, ließen wir uns endlich am gedeckten Teetisch nieder. Unsere Bekannten waren irgendwie sehr befangen, machten allzu artige Komplimente, gaben sich geziert und gespreizt – es war eine richtige Qual… Und der Tee war ein gesunder dünner Melissentee.

Die Zeit war schon im Park sehr schnell vergangen, wir wären gerne wieder aufgebrochen, es war alles so steif und falsch und unbehaglich – der Kampfergeruch lag schwer auf den Möbeln und den Gesprächen, aber noch gebot es die Höflichkeit, ein wenig zu bleiben und Konversation zu machen.

Wir erinnerten uns an den Fahrer, der vor dem Haus auf uns wartete, um uns alle wieder  heimzubringen. "Wir sollten Bescheid sagen, dass es noch ein Stündlein dauert", meinte einer, "der Arme wartet nun schon seit 90 Minuten." Man wandte sich an die Hausherrin und teilte ihr das Problem mit. "Können wir ihn nicht an unseren Tisch bitten? Ich werde gehen und ihn heraufholen", sagte Herr Friedrich.

Die alte Dame – ich ahnte, dass dieses Ansinnen für sie (man bedenke: ehemalige Kolonialherren in Portugal!) unmöglich war und in ihren Ohren grässlich geklungen haben muss: wie kann man Domestiken an den Tisch bitten, an dem die Herrschaft speist! –äußerte sich gar nicht dazu, sie war höchst diszipliniert und beherrscht, sie holte einen Teller, legte einige Schnittchen und Teegebäck darauf und sagte: "Ich werde ihm sein Essen hinunter bringen."

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