Ernte

Verfasst am: 2. Oktober 2002 von Barbara Keine Kommentare

Lieber Claudio,

vor 14 Taqen begann die vindima, die Weinernte. Dieses Jahr hat es bei der Ernte leider sehr viel geregnet, das macht die Arbeit noch schwerer: Mit Gummistiefeln steht man auf der matschigen Erde und muss sich viel bücken, weil die Trauben nass und schwer zu Boden gefallen sind. Schwer hängt die Regenkleidung am Körper, und unter dem tropfnassen Hut kleben die Haare schweißnass am Kopf. Aber alle arbeiten fröhlich und unverdrossen und scherzen und freuen sich auf das gute Essen, das man dann nach getaner Arbeit zusammen einnimmt.

In unserem Dorf gibt es nicht mehr sehr viele Weingärten, dafür ums so mehr Maisfelder, auf denen jetzt die reifen goldgelben Kolben gebrochen werden. Wenn die Pflanzen abgeerntet und getrocknet sind, werden die Felder abgemäht und umgepflügt.

Von Haus zu Haus wird die Maiskorn-Abraspelmaschine ausgeliehen, und man hört sie im ganzen Dorf klappern. Einer dreht die Kurbel, der andre wirft die Kolben hinein, die klappernd von den Körnern befreit werden – ratter-ratter-ratter.

Die gelben Körner werden zum Trocknen auf den zementierten Flächen vor dem Haus oder auf dem Hof ausgebreitet, aber nicht einfach nur so hingeschüttet, sondern liebevoll gleichmäßig hingestrichen und mit Mustern versehen.

Gestern mähte ein Nachbar sein riesiges grünes Maisfeld mit einer dinosaurierähnlichen Maschine ab, die den grünen Mais gleich häckselte und auf den Treckeranhänger spuckte. Langsam fuhr der Trecker neben der langsam fahrenden Maschine her, die wie ein riesiger Rasenmäher arbeitet. Wenn der Trecker beladen war, fuhr er mit rasendem Tempo los, um das grüne Futter zum Silo zu bringen, und ein zweiter Trecker ließ sich beladen. Sie fuhren den ganzen Nachmittag mit irrem Tempo vom Feld ins Dorf und um die Ecken, sie kamen und gingen, bis es Nacht wurde und der Mond schien. Sie fuhren die ganze Nacht, das Tempo wurde immer schneller, weil man(n) bei jeder Leerfahrt am Café anhielt und auftankte: einen "café cheirinho", einen (nach Schnaps) duftenden Kaffee.

Ich weiß es genau, weil wir solange vor der Kirche saßen, welche genau bei der Einfahrt zum Silo liegt. Hui, wie der da um die Ecke sauste! – und als wir nach 22 Uhr endlich mit der Chorprobe begannen, hörten wir immer wieder die quietschenden Reifen. Bis  Mitternacht sangen wir und wurden von den Traktoren  begleitet.

Wie fleißig die Menschen hier sind!

Am Sonntag war nun Erntedankfest. Die Kirche war so liebevoll wie noch nie geschmückt. Vor dem Altar lagen, schön arrangiert, Korbflaschen, Mehlsiebe, ein Strohhut, Ährenbündel, Weinkrüge,  Laub mit Trauben, Brot und  Mehl – das war keine künstlich-ästhetische Dekoration, sondern echt und traditionell, wie auf dem Feld und in der Küche.

Am Ambo jedoch hatten die Frauen einen murmelnden Bach gebaut: Aus dem Weinlaub und den Trauben quoll roter Wein, der durch eine Rinne in ein kleines Bassin plätscherte, alles lieblich umrahmt von Krügen, Flaschen und Weinreben, – plätscherte da den ganzen Morgen während der Messe. Der Padre hielt eine ernste Predigt über die zwei Söhne des Weinbauern, von denen der eine zuerst sagt, er wolle nicht arbeiten, und dann doch hilft, während der andere spontan zusagt, dann aber nichts tut – und die ganze Zeit floss der Tinto.

Hast du so etwas schon mal gesehen?

Also, ich fand das alles erstaunlich.

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