Häkeldecke

Verfasst am: 17. Juli 2002 von Barbara 3 Kommentare

Lieber Claudio,
immer wenn man hier als Besucher durchs Haus geführt wird, zeigen die Hausfrauen besonders stolz das schöne holzgeschnitzte und gedrechselte Ehebett mit der gar wundervoll gehäkelten weißen Baumwolldecke, ein Meisterwerk der Handarbeit! Diese Schneewittchen-Betten für 2 Personen sind nur 150 breit und höchstens 180 lang, höchstens. Und es gibt auch nur Leintücher und Wolldecken. So kann man zwar als junges, verliebtes portugiesisches Ehepaar die kalten Winter gut überstehen, aber als Germane oder vierschrötiger Tourist wird man zum Diagonalschläfer, der morgens mit dem Laken als einem Strick um den Hals (so seilen sich Gefängnisinsassen ab) aufwacht, schweißgebadet.

Aber was mich am meisten verwundert:  immer sind die Betten schön gerade (wie im Kasernendrill für den Stubenappell) gemacht, – und unberührt und glattgezogen wie im Möbelgeschäft liegt die gehäkelte Tagesdecke darüber.

Bei meinen ersten Urlaubsbesuchen in den Osterferien war ich völlig entzückt von diesen Decken und bewunderte sie mit allen mir zur Verfügung stehenden Vokabeln. Worauf dann meistens der Zusatz kam: " Habe ich selbst gehäkelt!" und ich vor Staunen in Ohnmacht fiel. Besonders fleißig häkelnd war die Tante meiner Nachbarin, eine reizende alte Dame mit einem reizenden alten Ehemann, die wir hin und wieder in ihrem Dorf besuchten. Dort saß sie mit einem Strohhut auf einem Stühlchen vor der Haustür (bei Regen natürlich im Innenhof unter dem Dach aus Wellplastik, sie häkelte immer und überall, sie häkelte am Strand, im Wartezimmer, beim Fernsehen) und häkelte dermaßen flink und fein,  redete dazu noch so interessant – nicht nur über das Wetter – , häkelte eine Bettdecke nach der anderen, dass ich hingerissen und voller Begierde hauchte: "Ich möchte auch gerne solch eine Häkeldecke haben, sie ist wunderschön."

Sprach ich und vergaß es .

Und als ich in den Sommerferien wiederkam zur Tante Rosa, holte sie geheimnisvoll lächelnd eine große Rolle aus ihrem Schrank, wickelte andächtig etwas aus dem Laken, breitete es auf dem Tisch aus und lachte: "Olha, schau her, dein Auftrag ist fertig. Das habe ich für dich gemacht, Dona Barbara!" Sie ließ mir Zeit zum Luftholen und erklärte dann, wieviele Stunden und Monate sie daran gessessen  und gearbeitet habe, dass ich nie und nimmer ein derartiges Stück  in einem Laden finden würde, so akkurat und liebevoll gearbeitet, und dass diese Bettdecke für mich – zu einem Freundschaftspreis  -  104 Kontos, also 104.000 Escudos, das waren damals 1. 040, 00 DM  (und das war damals für mich und für Portugal viel Geld!) kosten würde. Da sei aber nicht das Garn mitgerechnet, das käme dann noch dazu.

Das sagte sie bescheiden, freundlich, selbstbewusst, geschäftsmäßig sachlich. Sie kannte ihren Wert und nannte ihn mit unnachahmlicher Würde, ich stand dabei und fühlte mich beschenkt und außerordentlich und einzigartig.

Seitdem habe ich diese Decke, die ich gar nicht gebrauchen kann, weil sie die portugiesischen Schneewittchen-Betten-Maße hat. Ich habe versucht, als Gardine…, als Tischdecke…. , geht nicht. Und meine Ferien waren ziemlich traurig, weil ich nach diesem  Schnäppchen-Kauf kein Geld mehr hatte und am Hungertuch(Bettdecke) nagen musste. Aus Pietät mochte ich sie auch nicht auf dem Weihnachtsbazar unserer Gemeinde anbieten. Was mache ich bloß damit?

Tante Rosa hingegen erfreute sich bei den Verwandten fortan größter Beliebtheit, sie schenkte den Nichten und Neffen mit vollen Händen von ihrem Überfluss, und die rissen sich seit ihrer neu erschlossenen Finanzquelle darum, der alten Tante zu helfen und zu Diensten zu sein.
Woraus erhellt: Geld muss arbeiten.

3 Antworten

  1. Madleen schreibt:

    Hallo Mama,

    ja Tante Rosa – das war schon eine. Die hatte doch sogar ihr Radio umhäkelt. Überall und in jeder Ecke der Wohnung war ein Deckchen, eine Borte oder ein Läppchen. Total irre.

    Im Internet gibt es haufenweise Häkelseiten. Da kann man Muster runterladen, Infos austauschen und sich über die neusten Häkelbücher informieren. Ich habe jetzt in einer Bücherauktion für sechs Euro ein Buch mit alten Österreichischen Häkelspitzen erstanden. Es war heute in der Post. Man, was es da für Muster gibt. Die filigransten Spitzen nur mit einem Faden und einem Haken.

    —————-

    Verschlungene Pfade

    Siest du; auch wenn du meinst die Sachen mit dem Leben hätte einen Haken, so hat Gott dir doch ein filigranes Muster zugedacht, daß man erst erkennt wenn die Arbeit zuende ist.

  2. Friedlinde Ballmer schreibt:

    grüezi
    ich bin schon lange auf der Suche nach einer wunderschönen weissen Häkeldecke. Wissen Sie, wer mir eine häkeln könnte? Oder kann man bei Ihnen eine kaufen? Gerne höre ich wieder von Ihnen.
    Mfg Friedlinde aus der Schweiz

  3. Töchterchen schreibt:

    Ach ja die Häkeldecke …

    Ich hatte sie Tage, Wochen und Monate lang gehäkelt. Runde um Runde – immer im Kreis herum. Die ganze Tour de France und die ganzem Olympischen Spiele hatte ich hindurchgehäkelt. Sogar in Portugal am Strand habe ich dran gehäkelt. Aber sie wurde nicht fertig. Zwei Reihen fehlen. Ich habe sie Mama trozdem geschenkt. So wie damals die Stricklieselwurstdecke zum Muttertag – das sollte eine Decke werden, und wurde ein großer Topfleppen. Mama hat sie auf den Tisch gelegt und mir am Ende des Urlaubs wieder mitgegeben. Jetzt liegt sie seit Jahren als Unvollendete. Es ist nicht leicht etwas zu vollenden, wenn man weiß, daß man mit jeder Masche daran erinnert wird, wie weit weg ein geliebter Mensch ist. *Seufz*

    Ich habe im übrigen ganz wunderschöne Häkelanleitungen.

    Töchterchen

Eine Antwort verfassen