Ordnungshüter

Verfasst am: 16. Juli 2002 von Barbara 1 Kommentar

Lieber Claudio,
nein, es gibt hier im Dorf keine Polizei. Auch in den Nachbardörfern gibt es keinen Polizisten. Warum auch? Hier schreit keiner nach der Polizei. Man braucht sie nicht, wahrscheinlich kann man also das Zusammenleben auf dem Dorf auch ohne  staatliche Ordnungshüter regeln. Ich glaube, das ist überhaupt das entscheidende Stichwort: das Zusammenleben. Wir leben hier noch zusammen und reden miteinander und beschweren uns beim andern, also an der richtigen Adresse, und dann findet man gemeinsam schon einen Weg oder eine Lösung.

Wozu braucht man denn eigentlich die Polizei?  

Bei Diebstahl und Einbruch – gut, das gibt es hier auch, aber nach Meinung der Nachbarn sind es ja ciganos und herumziehendes Volk, sollen sie doch die Hühner stehlen und die Wäsche von der Leine, das kann man ja ersetzen, und die armen Teufel haben es nötiger gebraucht als unsereins.
Für die Sperrstunde vielleicht –
Gibt es hier überhaupt eine Sperrstunde, muss das staatlich kontrolliert werden? Unser Café schließt, wenn kein Gast  mehr da oder der Wirt müde ist. Der Gedanke, dass hier ein Polizist seinen Kontrollgang macht und den Besitzer anzeigt, weil der noch bis in die Puppen Karten spielt und Bier zapft, ist eigentlich lustig.
Ja, und bei Verkehrsunfällen –
Da kommen die Polizisten dann aus der Stadt angebraust und gehen mit wichtiger Miene zur Sache. Wir hatten einmal solchen "Verkehrsunfall", als der ständig besoffene Nachbar in der Nacht gegen unser vor dem Haus parkendes Auto geknallt ist, obwohl er doch nur Wasser und ein Täßchen Kaffee getrunken hatte, wie immer, so beteuerte er, er trinkt immer nur Mineralwasser. Wir mussten trotzdem leider die Polizei holen, um ein amtliches Schreiben, ein Unfall-Protokoll für die Versicherung, vorlegen zu können. Der Trunkenbold fand das alles auch in Ordnung, er war sogar sehr froh, fiel dem Polizisten und uns fast um den Hals und jubelte: "Ich habe die Versicherung bezahlt, ist es nicht toll, ich habe immer meine Versicherung bezahlt!" Das war dann auch wirklich ein Wunder.

Aber außer bei dergleichen öffentlichen Ärgernissen fährt hier jeder mit seinem unbeleuchteten alten Fahrrad, seiner nicht mehr TÜV-geprüften Karre und seinen Promille fröhlich umher, im näheren Bereich und bei Dunkelheit, versteht sich. Und es ist ein Glück, wenn einer immer die Versicherung bezahlt hat.
Nee, also, eigentlich brauchen wir die Polizei nicht.

Ich habe mir mal ausgedacht, ob es möglich wäre, einen Krimi zu schreiben, der hier im Dorf spielt… Aber ich weiß nicht genau, ob ein richtiger Kommissar oder Detektiv hier echt zum Einsatz käme, wo doch die Bewohner sowieso schon alles wissen  und die Situation analysieren könnten. Und wie die ortsfremden Polizisten und Kriminalbeamten dann hier so herumgehen und jedermann fragen würden, es wäre ja alles doch so ganz anders als "Derrick" oder der "Bulle von Tölz" in einem bayrischen Dorf. Ein interessanter Gedanke…

Allerdings, bei Erb- und Grenzstreitigkeiten laufen die Dorfbewohner gerne zum Tribunal, vors Gericht. Das ist wohl seit dem Sündenfall überall auf der Welt so. Eine Frau aus dem Dorf soll schon 276 Prozesse und Anklagen gehabt haben. Die alte Witwe braucht das wohl als besondere gesellschaftliche Bestätigung. Ich kann das leider nicht beurteilen, zu uns ist sie nett und schenkt uns sogar manchmal einen Kürbis oder ihre verschimmelten Granatäpfel, bevor sie ganz verfaulen.

Eine Antwort

  1. Volkmar schreibt:

    Liebe Bärbel, Simenon hat ja seinen Maigret in die Provinz geschickt. Da war unter der schönen idyllischen Oberfläche ein Mord passiert, alle verstrickten sich dann in Widersprüche, Maigret deckte das ganze menschliche Elend auf, beließ es aber manchmal bei einer guten Psychologie. Die half den Leuten viel mehr als die Gerechtigkeit der Welt. Könnte es nicht sein, dass ein portugiesischer Maigret in solch ein schönes Dorf kommt und aufdeckt, dass die saudade eine Art Trauer um die Leiche im Keller ist? "Denn da drunten ist’s fürchterlich!"
    Ich wäre auf einen portugiesischen Krimi ganz gespannt.
    Mit brüderlichem Gruß
    Volkmar

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