Heilige

Verfasst am: 11. Juli 2002 von Barbara Keine Kommentare

Lieber Claudio, du hast recht, es ist wirklich höchst aufregend, als Protestant in einer katholischen Dorfgemeinschaft zu leben. Die Nachbarn nehmen das allerdings kaum noch zur Kenntnis, zumal der Pastor hier ja nie im Talar auftritt. Als die alte Mutter meiner Nachbarin noch lebte, neben der ich meistens in der Messe saß, achtete sie streng darauf, dass ich auf keinen Fall zum Abendmahl gehe. Sie drückte mich in die Bank hinein und zischte: "Du bleibst hier, du darfst nicht!" Das Problem haben wir gelöst, indem ich jetzt im Chor singe und gerade diesen Gang der anderen zum Altar singend begleite. Manchmal jedoch, wenn die Rede darauf kommt, dass hier zwei verschiedene Glaubensrichtungen vorliegen, fragen die Portugiesen – nein, nicht etwa, warum die evangelischen Pfarrer heiraten dürfen, wie das mit dem Abendmahl oder mit Maria ist oder welche Neuerungen die Reformation noch mit sich brachte, sondern sie fragen: " Glaubst du auch an die Heiligen?"

Ja, die Heiligen…
Einer der Spaziergänge mit dem Hund führt aus dem Dorf hinaus durch Eukalyptuswälder und Wiesen voll Pfefferminzduft zur Kapelle des Heiligen Gregorius, der hier sehr verehrt wird. Es gibt Familien, die nach dem Gottesdienst hinaus wandern und dem Heiligen Blumen und Kerzen bringen. Es ist aber nicht ganz deutlich, wer da verehrt wird, denn die Kapelle ist von treuen Emigranten für den venezulanischen Arzt Dr. José Gregório Hernandez Cisneros, EL SIERVO DE DIOS, errichtet worden, der ein Freund und Wohltäter der Armen und Kranken war. Es ist ein chaplinesker kleiner Herr mit einer schwarzen Melone und einer Akten- oder Arzttasche. Traurig-ernst schaut sein Kachelbild die Gläubigen an, die zu ihm kommen. (Du findest ein Bildchen von ihm in meinem Tagebuch, Juni 2001, schau es dir mal an.)

Neulich trafen wir zwei ältere Frauen, zwei ganz liebe aus dem Dorf, die da andächtig ihren Rosenkranz beteten. "Warum betet ihr hier beim Heiligen Gregorius?" fragten wir. "Er ist doch ein Mensch, ein Arzt, und kein Heiliger, jedenfalls ist der Dr. Gregorio noch nicht heilig gesprochen, wie kann denn er euch helfen?"
"Aber natürlich kann er uns helfen", sagten sie beide, "er hat als médico immer geholfen, er versteht uns gut. Als Arzt kennt er doch alle Krankheiten, da wird er auch die richtige Fürsprache im Himmel vorbringen."
"Genau wie Nossa Senhora", fügte Dona Rosa hinzu, " sie ist eine Frau, sie ist eine Mutter, sie versteht uns wirklich."

Ich versuche das zu begreifen und denke darüber nach:
Die Heiligen sind irgendwie volksnahe und vertraut. Jedes Kind kennt sie wie die Verwandten und Nachbarn. Unser Dorfheiliger ist, auf Kacheln gemalt, an jedem Haus zu sehen, mit ihm und der Madonnenstatue von Fatima wächst hier jeder auf. Jakobus zum Beispiel steht naturgetreu, wie lebendig, da, in Lindenholz geschnitzt, mit buntem Gewand und goldenem Mantel. Das Buch, das er in der einen Hand hält, zeichnet ihn als Apostel aus. Unverkennbar sind sein Hut mit der breiten Krempe, sein Pilgerstab und die Pilgertasche und natürlich diese Jakobsmuschel. Jakobus kann man berühren. Auch Antonius und Sebastian kann man berühren. Und Dr. Gregorius kann man (wie durchs Telefon) anrufen und ihm die Symptome und Beschwerden beschreiben. Diese von Gott so begnadeten Menschen oder Heiligen sind greifbar, zum Greifen nahe. Zu ihnen geht man in seiner Not. Sie – die man kennt – werden helfen und bei Gott – den wiederum sie kennen – Fürsprache halten. Von ihnen ersehnt man sich Schutz vor Krankheit und Tod, aber auch Einfluss beim letzten Gericht. Und die Heiligen samt der Muttergottes helfen: Da ist man sich sicher und geizt nicht mit Spenden. Schließlich geht es ja ums eigene Heil. Beweise ihrer Wundertaten gibt es genügend. Sie hängen als «Ex votos» am Gnadenort, werden im Dorf als Legenden weitererzählt oder als Fotos von den Geheilten oder HIlfsbedürftigen und als Wachsgebilde (absonderliche Dinge, aber auch Beine, Innereien, Kinderfiguren) in den Kapellen aufbewahrt.

Ich werde dir das zeigen. Vielleicht verstehe ich das wirklich einmal, es kommt mir alles so fremd vor, unlogisch und unklar.

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