Kain und Abel

Verfasst am: 2. Juli 2002 von Barbara Keine Kommentare

Lieber Claudio,

wir sind natürlich mal zum Abendkurs für Analphabeten  mitgegangen, um uns selbst zu überzeugen.

Die Lehrerin ist eine nette und gebildete ältere Dame, Akademikerwitwe, die durch diese Abendkurse Geld verdient für ihre studierenden Söhne. Unser Herr "Duque de Lisboa" ist der einzige männliche Schüler. Ich hatte mich auch schon gewundert, dass ein portugiesischer älterer Mann, ein so ausgeprägter Machotyp, wie man(n) das hierzulande ist, tatsächlich eine Schwäche zugibt und sich noch mal in die Schulbank der Elementarschule setzt, um dort Nachhilfe zu bekommen. Das konnte ich mir nicht recht vorstellen, denn: Erstens hat ein Portugiese von echtem Schrot und Doppelkorn keine Fehler, zweitens hat er immer Recht, drittens geht er nur in die Schule, wenn   e r  das will und für nötig hält – und er hält  es nun einmal absolut nicht für nötig, er findet es nicht notwendig, zur Schule zu gehen wegen erstens und zweitens, und viertens ahnte ich schon:…Cherchez la femme…

Und siehe da, der Herzog will gar nichts lernen, sondern sitzt nur da und schäkert mit den Frauen und macht alberne Bemerkungen und benimmt sich wie ein balzender Truthahn.
Er scheint allerdings gar nicht die anderen Damen zu meinen, die da so emsig und fleißig buchstabierend irgendwelche Lückentexte ausfüllen. Lückentexte, schrecklich! (Da fällt mir eine weit anspruchsvollere und beliebte Konzentrationsübung aus meinen Lehrerjahren ein: F e h l e r l e s e n !!  Hach, war das schön.) Der Duque hat es nicht nötig, Lückentexte auszufüllen und Fehlerlesen zu üben, denn er hat etwas Höheres im Sinn. Schwante mir doch gleich…

Am nächsten Abend ist heimlich eine Bekannte aus dem Kurs gekommen und hat   uns nach langen Vorreden, dass es eine sehr delikate Sache und sonst nicht ihre Art sei, und wir sollen niemandem etwas von ihrem Besuch erzählen (was ich ja nicht tue, denn ich schreibe(!) ja nur einen Brief an Dich), gebeten, dem Senhor "Duque de Lisboa"  den Kopf zurechtzusetzen, auf uns höre er ja vielleicht. Sie kenne den alten Knaben schon von Kindesbeinen an, sie seien Nachbarn gewesen, seine Mutter habe ihn immer in die Schule geschickt, denn die Jungen hatten das Vorrecht auf Schulbildung im Gegensatz zu den Mädchen, die "ja sowieso heiraten",  aber damals habe der Lümmel einfach nicht lernen wollen, er habe die Schule geschwänzt und lieber auf dem Feld gearbeitet. Und jetzt wolle er natürlich auch nicht lernen, er betrachte diesen Abendkurs als "Ball der einsamen Herzen" und habe es auf die Lehrerin abgesehen, er komme nur in die Schule, um in ihrer Nähe zu sein und wolle sich an sie ranmachen, und das seien doch gewaltige Standesunterschiede, ob ihm das nicht klar sei? Die Lehrerin fühle sich von ihm sehr belästigt, weil er sie auch privat in ihrem Dorf aufsucht und um ihr Haus herumschleicht und sie zum Gespött der Leute macht.

So sehr diese Geschichte mich an die schöne Witwe oder an Alexis Zorbas erinnert, so ganz anders ist sie doch. Portugal ist ganz anders als Griechenland. Der "Herzog von Lisboa" ist ein toller verrückter Kerl, aber ganz anders als der griechische Alexis Zorbas mit seiner Bubulina und seinem Bocksgesang und seinem Sirtaki. Ganz anders. Ganz portugiesisch eben: Er arbeitet sehr fleißig in seinem Garten und füttert treu seine Hühner und Kaninchen und liebt die Pflanzen und Bäume, und alles gedeiht um ihn herum. Er ist eher Abel als Kain. Ja, ich finde ihn eben portugiesisch.

(Übrigens: die portugiesischen Wörter für "anbaggern" und "anmachen" und weitere lebenswichtige Dinge habe ich leider bei dieser Lektion nicht gelernt und wüsste sie doch zu gerne. Und das Adjektiv "faul" für einen stinkfaulen Schuljungen gibt es im Portugiesischen nicht, die Senhora sagte: "Er wollte nicht lernen.")

Eine Antwort verfassen